Putins Lüge auf Lebenszeit

Der sonst so schlagfertige russische Präsident war kreideweiß, er sah verloren aus. Beim ersten öffentlichen Auftritt nach dem Abschuss der MH 17 vor einem Jahr rang Wladimir Putin mit den Worten. Damals wird ihm klar geworden sein, dass die Verstimmungen mit dem Westen wegen der Annexion der Krim nur ein harmloseres Vorspiel waren.

Dass die Geschichte mit diesem Tag in eine neue Phase eintreten würde. Nicht etwa, weil der Westen nun zu entschiedenerem Handeln genötigt sein würde. Nein, die Logik seiner Herrschaft zwang Wladimir Putin, die Konfrontation weiter zu treiben. Ein Schuldgeständnis hätte die Mär vom unbeteiligten Zaungast Russland im Krieg um die Ostukraine entlarvt. Autoritäre Persönlichkeiten können Niederlagen weder zugeben noch verarbeiten. Putin entschied sich für die Lüge auf Lebenszeit.

Davon zeugt der Umgang mit den Fakten des Abschusses. Russland setzt auf Desinformation und Verwässerung. Jene hybride Kriegsführung, die es in der Ukraine und gegen den Westen anwendet. Man könnte Moskau zugutehalten, dass diese Kriegführung eher ein Zeichen der Schwäche sein könnte.

Die konstruktive Haltung im Konflikt mit dem Iran über das Atomprogramm scheint eher eine glückliche Koinzidenz denn Zeichen einer neuen außenpolitischen Orientierung zu sein. Wie andere auch verspricht sich das wirtschaftlich angeschlagene Moskau Gewinne. Eventuell auch einen Partner für Auseinandersetzungen mit dem Islamischen Staat.

Die Zeiten, als Russland ein berechenbarer Partner war, sind vorbei. Putins Taktik beruht auf Unberechenbarkeit, er ist ein Partisan des internationalen Systems. So ebnete ihm diese Woche auch das russische Verfassungsgericht den Weg, um sich aus der europäischen Jurisdiktion davonzustehlen. Zum einen, um die gerichtlich verfügten Milliardenzahlungen im Fall des in den Bankrott getrieben Yukos-Konzerns nicht leisten zu müssen. Zum andern, um den Bürgern den letzten Weg zum Recht durch Straßburg zu verbauen.

Ein ähnliches Motiv, das auch hinter dem Vorgehen gegen die letzten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) steckt. Die "unerwünschten Organisationen" auf der neuen "NGO-Stoppliste" werden nicht nur drangsaliert, weil Ausländer sie mitfinanzieren. Sie sind als Horte selbstständigen Denkens suspekt, das sich der Komplexität der Welt stellt. Denn Putin verordnete dem Land Simplizität und Simplifizierung, die bereits alle Lebensbereiche erfassen und selbst vor der Wissenschaft nicht mehr Halt machen. Als wäre der IS sein Ideal. Der Mangel an politischer Legitimität treibt Putin in die Konfrontation mit der Außenwelt. An einer stabilen Nachbarschaft hat er daher kein Interesse. Sie wäre sein Ende.

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