Der Feind im Inneren

Die grausame Gegenwart zeigt sich beispielhaft auf einem Friedhof der westukrainischen Stadt Lwiw. Hier liegen sie, vor kurzem erst begraben und heftig beweint: Väter, Söhne, Brüder, Freunde. Sie haben im Osten ihres Landes gekämpft, sind für eine geeinte Ukraine gefallen.

Der Krieg ist weit von Lwiw, und er ist doch so nah. Die nun ausgehandelte Waffenruhe - pünktlich zum Schulanfang - kann da nur ein kleines Stück Hoffnung sein. Denn es ist ein brüchiger Frieden, bis in die Nacht zum Dienstag sprachen die Waffen , auch wenn die größeren Geschütze nicht zum Einsatz kamen.

Von einer stabilen Situation ist das wirtschaftlich angezählte und politisch weiterhin gespaltene Land weit entfernt. Dabei sitzt der mächtige Feind nicht nur in Moskau, sondern auch im Inneren der Ukraine. Und dort ist er schwer auszurotten. Es geht nicht nur um die Korruption und um die zentralistische Staatsstruktur. Es sind nicht nur die Oligarchen, die schwer in den Griff zu bekommen sind. Dasselbe gilt auch für die radikalen Kräfte, die der gemäßigten Regierung um Staatschef Petro Poroschenko zu schaffen machen und die innenpolitische Zerrissenheit zutage fördern.

Überwiegend aus dem Westen der Ukraine stammen die Kämpfer, die mit teils rassistischen und stark nationalistischen Einstellungen in die von den Separatisten besetzten Gebiete im Donbass ziehen und von dort enttäuscht zurückkehren - wenn sie denn zurückkehren. Sie fühlen sich von Kiew im Stich gelassen, von der Regierung nach und nach verraten. Mit ihrer Schlagkraft waren sie gut zu gebrauchen, schon bei den Protesten auf dem Maidan, später im Kampf gegen die von Russland geschulten und mit Waffen versorgten Separatisten rund um Donezk und Luhansk. Ihre politische Einstellung war da zunächst zweitrangig. Doch nun wird sie zunehmend zum Problem, gerade weil diese Männer kampferprobt und zu Gewalt bereit sind. Zu lange hat die Regierung das ausgesessen und stets abgewimmelt: erst den Krieg gewinnen, dann erst das Problem der rechtsradikalen Kräfte anpacken.

Gerade im Westen der Ukraine erfahren die nationalistische Partei "Swoboda" und der radikale "Rechte Sektor" - mögen sie auf Regierungsebene auch wenig zu sagen haben - den größten Zuspruch. Es soll ein Mitglied von "Swoboda" gewesen sein, das am Montag vor dem Parlament in Kiew eine Handgranate warf. Der Anschlag forderte drei Tote und mehr als hundert Verletzte, doch die erste Abstimmung über das lange erwartete und hoch umstrittene Dezentralisierungsgesetz konnte er nicht verhindern. Abzusehen ist allerdings, dass die Reform am Ende kaum die erforderliche Mehrheit finden wird. Präsident Poroschenko sitzt also weiter auf einem Pulverfass. Der Friedensprozess ist gefährdet: von außen wie von innen.

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