Ägypten ist gefangen in einer Spirale der Gewalt

Kairo · Abdel Fattah al-Sisi spricht mit unterdrückter Wut. Um ihn herum steht die Familie des ermordeten Generalstaatsanwalts Hischam Barakat, Frauen in schwarzen Gewändern schluchzen leise. "Die schnelle Hand der Gerechtigkeit wird durch die Gesetze gefesselt", sagt der ägyptische Präsident, ein ehemaliger General.

Die Regierung werde sie ändern, um Urteile zu beschleunigen. Verhängte Todesstrafen müssten vollstreckt werden.

Al-Sisi wiederholte jeden Satz bei der Trauerfeier am Dienstag zwei Mal, um seiner Antwort auf den Terror mehr Nachdruck zu verleihen: Er will die Freiheitsrechte weiter einschränken. Was die Islamisten im Land hart treffen soll, könnte eine weitere Runde in der Spirale von Gewalt und Unterdrückung für Ägypten bedeuten. Denn seit Jahren folgt auf brutale Attentate die Einschränkung von Rechten im Namen der Sicherheit - und umgekehrt. Nach diversen Bombenanschlägen hat der Terror in Ägypten spätestens seit dem Angriff eines Ablegers der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Sinai eine lange nicht gekannte Dimension erreicht. Einige Beobachter werten die Zusammenstöße vom Mittwoch mit über 100 Toten als heftigste Kämpfe auf dem Sinai seit dem Jom-Kippur-Krieg gegen Israel 1973.

Auf der Halbinsel im Osten hatten Extremisten vor einigen Monaten dem IS die Treue geschworen. Nun bekannten sie sich zu einer Serie von Anschlägen auf Wachposten und Sicherheitskräfte, wie sie selbst das militärische Sperrgebiet im Nordsinai noch nicht gesehen hat.

"Beispiellos" sei das Vorgehen der Miliz gewesen, sagt Zack Gold, Experte am Israelischen Institut für Nationale Sicherheitsstudien. Die Kämpfer hätten versucht, die Stadt Scheich Suweid unter ihre Kontrolle zu bringen oder die Armee zumindest in einen Häuserkampf zu verwickeln. Das habe es vorher noch nicht gegeben, bestätigt der Analyst Mokhtar Awad vom "Center for American Progress" in Washington. Bislang hätten die Anschläge der Extremisten in der Region eher einen überfallartigen Charakter gehabt. Nun scheinen sie selbstbewusst genug, um Gebiete einnehmen zu wollen. Die Dschihadisten auf dem Sinai sind deutlich aktiver, seit Präsident Mohammed Mursi 2013 abgesetzt wurde. Mursi und Dutzende seiner Unterstützer sind mittlerweile in erster Instanz zum Tode verurteilt worden.

Seine Partei, die Muslimbrüder, wurde verboten, die Mitglieder werden bis heute als Terroristen verfolgt. Die Regierung macht die Bruderschaft für den Bombenanschlag auf Barakat und weitere Attentate verantwortlich. Die Gruppe, die aus unterschiedlichsten Strömungen zwischen moderat und radikal besteht, bestreitet dagegen, Gewalttaten zu verüben. Nach Einschätzung von Forschern besteht zwischen Muslimbrüdern und radikaleren Islamisten zwar noch immer eine Trennlinie. Doch die Schwelle zum Überlaufen werde angesichts der weitreichenden Unterdrückung aller Islamisten niedriger. Zack Gold warnt davor, dass die Behandlung der Bruderschaft als Terrororganisation zur "selbsterfüllenden Prophezeiung" werden könnte.

Der Zeitpunkt für die Eskalation der vergangenen Tage ist übrigens aller Voraussicht nach kein Zufall. Heute vor zwei Jahren wurde Mursi nach Massenprotesten von der Armee geschasst - der damalige Oberbefehlshaber hieß Abdel Fattah al-Sisi.

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