Schlacht um Mindestlohn ist für Nahles nicht vorbei

Berlin · Am Gebäude des Bundesarbeitsministeriums in der Berliner Wilhelmstraße hängt ein großes Plakat: "Der Mindestlohn gilt". Doch was so eindeutig klingt, ist für Ressortchefin Andrea Nahles (SPD ) zum politischen Nervenspiel geworden.

Zwar steht die Lohnuntergrenze von 8,50 Euro pro Stunde nun seit dem 1. Januar dieses Jahres im Gesetz. Aber die Union lässt nichts unversucht, um die Schlacht neu aufzurollen.

Beinah täglich beschwert sich der Wirtschaftsflügel von CDU und CSU lautstark über bürokratische Auswüchse und praktische Umsetzungsprobleme, was die bislang erfolgsgewohnte Ministerin in die Defensive bringt. Zunächst war es die Gruppe der Schausteller, bei denen Nahles nachbessern musste, dann sah sie sich gezwungen "klarzustellen", dass Amateur-Vertragsspieler sowie Ehrenamtliche nicht unter den Mindestlohn fallen. Und als wäre das nicht schon genug, rang die Union der Arbeitsministerin beim jüngsten Spitzentreffen im Kanzleramt die Zusage ab, schon bis Ostern "eine Bestandsaufnahme der in der Praxis bestehenden Probleme" zu erstellen. Ursprünglich wollte Nahles damit erst im Sommer rauskommen.

In dieser aufgeladenen Atmosphäre wird sich heute die vom Gesetz vorgeschriebene Mindestlohnkommission konstituieren, ein unabhängiges Expertengremium mit dem ehemaligen Hamburger SPD-Bürgermeister Henning Voscherau an der Spitze. Dazu kommen jeweils drei stimmberechtigte Vertreter der Arbeitgeber- und der Gewerkschafts-Seite sowie zwei Wissenschaftler. Laut Gesetz sollen sie alle zwei Jahre eine Anpassung des geltenden Mindestlohns vornehmen. Als Orientierungshilfe für die mögliche Aufstockung der 8,50 Euro dient die Tarifentwicklung der Vorjahre. Eine erste Anpassung ist zum 1. Januar 2017 vorgesehen. Ebenfalls im Zwei-Jahres-Rhythmus soll die Kommission einen Bericht zu den Auswirkungen des Mindestlohns hinsichtlich des Schutzes der Arbeitnehmer, des Wettbewerbs sowie der Beschäftigung und Produktivität erstellen und der Regierung vorlegen. Das mag unspektakulär klingen. Aber Streitigkeiten dürften auch hier programmiert sein. Allein schon, weil die Arbeitgeberseite mit dem Mindestlohn weniger am Hut hat als das Gewerkschaftslager.

Beim DGB drängt man etwa darauf, sich in der Kommission auch um die Langzeitarbeitslosen zu kümmern. Nach dem Start in einen Job wird für sie laut Gesetz erst nach einem halben Jahr der Mindestlohn fällig. Die Gewerkschaften fürchten einen Drehtüreffekt: Firmen könnten einen Ex-Langzeitarbeitslosen nach sechs Monaten durch einen neuen ersetzen.

Definitiv nicht zu den Aufgaben der Kommission gehört es, in die aktuelle Debatte der von der Union kritisierten Aufzeichnungspflichten zur Einhaltung des Mindestlohns einzugreifen. Für Nahles ist das allerdings ein schwacher Trost. Spätestens beim nächsten Koalitionsausschuss am 23. April kann es durchaus noch zu Änderungen bei den Dokumentationsauflagen für Arbeitgeber kommen. Die Ministerin stünde dann erneut politisch gerupft da.

Immerhin haben sich die düsteren Prognosen eines massenhaften Job-Abbaus im Zuge des Mindestlohns bislang als völlig haltlos erwiesen - zwei Monate nach Einführung der Lohnuntergrenze ist die Arbeitslosigkeit auf ein Rekordtief gesunken.

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