Athen-Hilfe kauft Zeit für hoffnungslosen (Sonder-)Fall

Berlin · Zwei Parlamente, in Athen und Berlin , treffen unter großen Bauchschmerzen eine Entscheidung gegen die innere Überzeugung vieler ihrer Mitglieder. Sie werden dazu getrieben von zwei Regierungen, die diese Entscheidung in Wirklichkeit selbst auch für falsch halten.

Das gilt jedenfalls für Ministerpräsident Alexis Tsipras dort und für Finanzminister Wolfgang Schäuble hier. Und dennoch werden noch einmal 86 Milliarden Euro in das griechische Fass ohne Boden gekippt. Es ist, sagt die Bundeskanzlerin, der letzte Versuch. Wohl wahr. Diese Absurdität kann man nicht wiederholen.

Dass dieser Versuch gegen alle früheren Versprechungen durchgepeitscht wird, hat spezielle Gründe, hier wie dort. Bei Tsipras ist es die Angst vor der Drachme und vor dem eigenen Volk. Tatsächlich hätte ein ungeordneter Grexit zu diesem Zeitpunkt unkontrollierbare Folgen in dem Land, bis hin zur Gefahr schwerster innenpolitischer Verwerfungen. Angela Merkel wiederum treibt die Furcht vor einer politischen Dauerkrise Europas um, das weltweit als handlungsunfähig dastünde, und die Angst vor einem neuen geopolitischen Risikofaktor an der Südostflanke des Kontinents. Außerdem sorgt sie sich um den eigenen Ruf und ihre Wiederwahl 2017. Scheitert die Eurorettung, ist auch das Kernstück der Merkelschen Kanzlerschaft gescheitert und ihr Nimbus gebrochen.

Das dritte Rettungspaket schafft nur Zeit, löst aber nichts. Inzwischen sind in Griechenland ein Viertel der Menschen arbeitslos, in Deutschland wären das zehn Millionen. Die Wirtschaft ist eingebrochen, das Kapital abgezogen, die soziale Lage desolat. Die Banken sind überschuldet, Politik und Verwaltung instabil. Es ist absurd zu glauben, mit noch härteren Reformen in eine solche Situation hinein jetzt plötzlich Aufbruchstimmung und Aufschwung erzeugen zu können. Dafür ist es in Griechenland schon lange zu spät.

Allerdings ist der Vorwurf, Merkels Politik der Austerität (Haushaltsdisziplin) sei für die Lage verantwortlich, völlig überzogen. In Portugal oder Irland hat die Methode ja gewirkt. Außerdem war längst nicht alles nur Sparen oder Deregulierung . Aber keine einzige griechische Regierung, von Rechts bis ganz Links, hat es geschafft, ein Katasterwesen aufzubauen, Steuern einzutreiben, die Korruption zu bekämpfen und den Einfluss der Politik aus der Verwaltung zurückzudrängen. Griechenland ist ein besonderer Fall. Ein hoffnungsloser Fall.

Im deutschen Recht gibt es die Privatinsolvenz, die Befreiung eines Gescheiterten von seinen Schulden, wenn er sechs Jahre lang sein ganzes Einkommen und sein Vermögen abliefert, bis auf das Existenzminimum . Dahinter steckt die weise Einsicht, dass die Gemeinschaft mehr davon hat, jemandem einen Neuanfang zu ermöglichen, als ihn dauerhaft durchzufüttern und das geliehene Geld doch nicht zurückzubekommen. Griechenland, in dem die Krise nun fünf Jahre andauert und das jetzt auch fast alles abliefern muss, steht nach diesem Maßstab schon kurz vor der Umschuldung und dem Neuanfang. Vermutlich dauert es bis dahin aber noch drei Jahre, weil das neue Rettungsprogramm bis 2018 reicht, nicht zufällig bis kurz nach der Bundestagswahl. Dann jedoch wird der Grexit kommen.

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