Gegen grausame Tradition: Sängerin Sister Fa will Mädchen vor der Genitalverstümmelung bewahren

Vélingara · Der Weltfrauentag am 8. März gilt als Symbol des Kampfes für Frauenrechte. Doch noch immer leiden weltweit Millionen Mädchen unter der brutalen Tradition der Genitalverstümmelung. Die Rapperin Sister Fa wurde als Kind im Senegal beschnitten. Jetzt engagiert sich die in Berlin lebende Musikerin in ihrer Heimat mit Musik und Aufklärung für ein Ende der Beschneidung.

 Rückkehr in die Heimat: Die in Berlin lebende Musikerin Sister Fa mit Schülerinnen in einem Dorf im Süden des Senegal. Fotos: Hedemann

Rückkehr in die Heimat: Die in Berlin lebende Musikerin Sister Fa mit Schülerinnen in einem Dorf im Süden des Senegal. Fotos: Hedemann

"Ich kann mich noch an die Schmerzen und das Blut erinnern. Meine Mutter sagte mir, dass ich nicht weinen dürfe, weil ich sonst die Familienehre beschmutze." Vor knapp 30 Jahren schnitt eine alte Frau der vierjährigen Fatou Mandiang Diatta die Klitoris ab. Ohne Betäubung. Damals presste die kleine Fatou die Lippen zusammen. Heute schweigt sie nicht mehr. Heute schreit sie als Rapperin Sister Fa heraus, was sie wütend macht. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation leben weltweit 125 Millionen Frauen, die Opfer weiblicher Genitalbeschneidung wurden. Nach UN-Angaben ist im Senegal ein Viertel der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten, im Süden sollen es bis zu 90 Prozent sein. Sister Fa ist in ihre Heimat zurückgekehrt, um mit Musik gegen die Tradition zu kämpfen, unter der sie noch heute leidet.

"Mein Name ist Fatou. Ich bin genau wie ihr Senegalesin. Und ich bin genau wie viele von euch beschnitten." Bei knapp 40 Grad steht Fatou Mandiang Diatta in einem Klassenzimmer in einem Dorf im Süden Senegals. Rund 70 Jungen und Mädchen hören gebannt zu, als die Frau, die von hier und irgendwie doch aus einer anderen Welt kommt, das eigentlich Unaussprechliche ausspricht. Auch wenn weibliche Genitalverstümmelung im Senegal seit fast 16 Jahren verboten ist, ist es immer noch ein Tabu, darüber zu sprechen. Die Tradition in Frage zu stellen, ist für viele ein Verrat an der eigenen Kultur, am eigenen Glauben, an der eigenen Familie - an allem, was im Senegal wichtig ist. Fatou Mandiang Diatta tut es dennoch. Sie kann nicht anders.

"Mädchen werden beschnitten, weil es im Koran steht." "Weil sie sonst keinen Mann finden können." "Weil sie sonst unrein sind und nicht treu sein können." Den Schülerinnen und Schülern fallen viele Gründe ein, warum fast alle Mädchen in der Klasse den gefährlichen Eingriff über sich haben ergehen lassen müssen. Fatou Mandiang Diatta kennt diese Antworten. Mit Unterstützung der Hilfsorganisation World Vision, die sich in dem westafrikanischen Staat seit über zehn Jahren für Kinderrechte engagiert, ist die 32-Jährige bereits zum vierten Mal im Senegal auf Tour, um gegen die brutale Praxis, die in zahlreichen Staaten Afrikas und Asiens immer noch verbreitet ist, zu kämpfen. Die Aktivistin weiß, dass keine einzige Sure des Korans die Beschneidung fordert und dass viele krude Thesen aufgestellt wurden, um die Tradition zu rechtfertigen. Die Mutter einer sechsjährigen Tochter weiß jedoch auch, dass die Beschneidungsnarben vielen Frauen während der Menstruation, beim Urinieren, beim Sex und bei der Geburt höllische Schmerzen bereiten. Sie weiß, dass jedes Jahr Tausende Mädchen bei dem Eingriff verbluten oder bei der Geburt an den Folgen sterben.

Die seit 2006 in Berlin lebende Musikerin ist nicht als Oberlehrerin gekommen. "Natürlich versuche ich im Gespräch mit den Kindern, diese falschen Argumente zu widerlegen. Denn fast immer geschieht der Eingriff aus Unwissenheit. Die Leute wissen einfach nicht, wozu die Klitoris gut ist", sagt sie. Sie möchte erreichen, dass die Mädchen , die ihr jetzt zuhören, ihre Töchter nicht beschneiden lassen. "Da kann ich nicht mit dem moralischen Holzhammer kommen. Wenn ich die Eltern dieser Kinder einfach verurteilen würde, würde ich genau das Gegenteil erreichen."

In einem ihrer Songs geht es um die Schmerzen , die sie als kleines Mädchen ertragen musste. Als bemitleidenswerte Betroffene sieht sie sich jedoch nicht. "Ich bin kein Opfer, ich bin eine Überlebende! Ich werde zwar mein Leben lang spüren, dass ich keine vollständige Frau bin, dass da etwas fehlt. Aber meine Musik hilft mir bei der Verarbeitung", sagt die Rapperin, die erreichen möchte, dass in vier Jahren im Senegal kein Mädchen mehr beschnitten wird. Viele Experten halten das für illusorisch, denn vor allem bei alten Frauen ist die Tradition oft noch fest verwurzelt.

"Ich war eine berühmte Beschneiderin. In 25 Jahren habe ich sicherlich 1000 Mädchen beschnitten. Meine magische Kraft war so groß, dass mir kein einziges gestorben ist. Ich bereue nichts", sagt Sirayel Diao vor ihrer strohgedeckten Lehmhütte. Ihre Kollegin Aissatou Baldé hingegen gibt zu: "Manchmal sind die Mädchen verblutet, andere sind bei der Geburt gestorben. Das raubt mir noch heute den Schlaf." Einige dieser Opfer landeten möglicherweise in der Gesundheitsstation von Anna Camara. "Die meisten Beschneiderinnen haben überhaupt keine Ahnung von weiblicher Anatomie und Hygiene. Weil sie oft das immer gleiche Messer verwenden, besteht auch die Gefahr, dass sie so HIV übertragen", schimpft die Medizinerin.

Auch wenn die beiden Beschneiderinnen beteuern, seit Jahren kein Mädchen mehr angerührt zu haben, muss es noch Kolleginnen geben, die den einst angesehenen, mittlerweile illegalen Beruf ausüben. Zwar drohen langjährige Gefängnisstrafen, doch den Täterinnen auf die Schliche zu kommen, ist schwierig. "Hier schützt jeder jeden. Wir können nur undercover ermitteln und hoffen, dass die Menschen uns verraten, wer wann und wo beschneidet", sagt Polizist Adama Sy.

Rahinatou ist eines der wenigen unbeschnittenen Mädchen in ihrem Dorf. "Manchmal zeigen die anderen mit dem Finger auf mich und sagen, dass ich weniger wert sei als sie. Aber ich glaube, sie sind heimlich sogar neidisch auf mich, weil ich weniger Schmerzen haben werde, wenn ich ein Kind bekomme", sagt die Zwölfjährige. Ihre beschnittene Mutter Aissatou hat sieben Kinder zur Welt gebracht. "Alle Geburten waren die Hölle. Das wollte ich meinen Töchtern unbedingt ersparen", sagt sie, während sie ihr jüngstes Kind stillt.

Als Sister Fa am Abend ein Konzert gibt, steht Rahinatou abseits. Die Außenseiterin: "Ob beschnitten oder nicht: Musik finden wir alle gut. Die Leute hören zu, was Sister Fa zu sagen hat. Vielleicht macht das mein Leben hier etwas einfacher."

"Die Staatengemeinschaft gibt zu wenig Geld"

 ChristaMüller

ChristaMüller

Genitalverstümmelung könnte bereits in vielen Ländern besiegt sein, wenn der Westen mehr Geld für die Aufklärung geben würde, sagt Christa Müller, Vorsitzende des saarländischen Vereins Intact. Mit ihr sprach SZ-Redakteurin Stefanie Marsch.

Frau Müller, noch immer werden in vielen Ländern Mädchen beschnitten. Warum ist es so schwer, diese grausame Tradition zu bekämpfen?

Müller: Es ist gar nicht so schwer. Es geht sogar viel schneller, als wir anfangs gedacht haben, wenn genug Geld vorhanden ist. Die internationale Staatengemeinschaft gibt aber einfach zu wenig für den Kampf gegen die Beschneidung. Die betroffenen Länder haben nicht die nötigen Mittel. Sie müssen zunächst etwas für das Gesundheitssystem, die Infrastruktur und die Wirtschaft tun. Da bleibt kein Geld für Aufklärungsmaßnahmen. Sie tun das, was sie können: Gesetze gegen die Beschneidung erlassen.

Wie arbeitet Ihr Verein?

Müller: Wir haben eine sehr übergreifende Strategie, die alle einbeziehen soll. Unsere Partner vor Ort leisten einerseits Aufklärung bei der breiten Bevölkerung. Andererseits versuchen sie, die Beschneiderinnen zu überzeugen, ihren Beruf aufzugeben. Und schließlich arbeiten wir eng mit den politischen und religiösen Führern zusammen. Unser Ziel ist es, die Beschneidung in den jeweiligen Ländern nicht nur einzudämmen, sondern komplett abzuschaffen. In Benin und Togo ist uns das gelungen.

Die Welt wird immer globaler. Gibt es durch die Migration auch Beschneidung in Deutschland?

Müller: Es leben rund 30 000 beschnittene Frauen in Deutschland. Und in eingewanderten Familien besteht durchaus die Gefahr, dass die Mädchen beschnitten werden. Die Kinder werden teilweise ins Heimatland gebracht oder die Beschneidungen finden hier im Geheimen statt. Es konnte noch nie eindeutig bewiesen werden, aber es gibt immer wieder Fälle, in denen die Hinweise sehr deutlich sind. Auch hier im Saarland hatten wir schon einen Fall, der bis vor Gericht ging, aber am Ende reichten die Beweise leider nicht.

intact-ev.de

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