Erfolgsgeschichte im Saarland: ZF baut seit 50 Jahren Automatikgetriebe

Saarbrücken/Friedrichshafen · Vor 50 Jahren hat beim Automobil-Zulieferer ZF die Ära der Automatik-Getriebe für Pkw begonnen. Zunächst wurden sie in Friedrichshafen gebaut, später aber und bis heute mit großem Erfolg in Saarbrücken.

 In dieser sogenannten Traglufthalle begann die Saarbrücker Produktion der ZF-Automatikgetriebe. Foto: ZF

In dieser sogenannten Traglufthalle begann die Saarbrücker Produktion der ZF-Automatikgetriebe. Foto: ZF

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 Auch modisch ganz weit vorn: Die Mitarbeiter von ZF in Saarbrücken in den 1970er Jahren. Foto: ZF

Auch modisch ganz weit vorn: Die Mitarbeiter von ZF in Saarbrücken in den 1970er Jahren. Foto: ZF

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Manfred Bucksch sagt man nach, dass er ein Dreigang-Automatikgetriebe von ZF, das in seine Einzelteile zerlegt wurde, wieder zusammenbauen kann. Darauf angesprochen will der heute 72-Jährige, der seit neun Jahren in Rente ist, dies nicht dementieren. "Ich glaube, das könnte ich noch." Bucksch war von 1970 bis 2006 Konstruktionschef der ZF-Automatikgetriebe für die Sparte Pkw, kennt also jede Lamelle, jedes Zahnrad und jede Scheibe seiner Antriebsaggregate. Das Dreigang-Automatikgetriebe mit der ZF-Typenbezeichnung "3HP" war das erste, das der Autozulieferer aus Friedrichshafen entwickelte und zur Serienreife brachte. 50 Jahre ist das jetzt her. Obwohl der Startschuss 1965 in der Bodensee-Stadt fiel, ist die Erfolgsgeschichte der ZF-Automatikgetriebe eng mit dem Werk Saarbrücken verbunden, das wenige Jahre später an den Start ging.

Die Entscheidung für den Standort im späteren Industriegebiet Süd fiel Ende der 1960er Jahre. "Es war eine Region im Strukturwandel. Das Land war billig, Menschen mit Industrie-Erfahrung jedoch vorhanden", erzählt der heutige ZF-Werksleiter Hermann Becker. Doch wer vorher in der Stahlindustrie oder im Bergbau gearbeitet hatte, war nicht sofort für die etwas filigranere Tätigkeit des Getriebe-Baus geeignet. "Zunächst wurde eine Lehrwerkstatt errichtet", weiß Becker von seinen Vorgängern. Dort wurde die erste Kernmannschaft mit ihren neuen Handgriffen vertraut gemacht. Den Sprung an die Saar wagte ZF anfangs nicht alleine, sondern gründete zu Beginn der 1970er Jahre ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem US-Automatikgetriebebauer Borg-Warner. 1971 wurde der Ansiedlungsvertrag unterschrieben. Zusammen bauten beide die ersten Aggregate in einer Traglufthalle auf dem Gelände unweit der französischen Grenze. Doch diese transatlantische Partnerschaft hielt nicht lange. Borg-Warner wollte seine Getriebe in Europa wohl ohne den Partner ZF verkaufen. "Das konnte allein technisch nicht gut gehen", sagt Georg Gierer, auch ein Mann der ersten Stunde in der 50-jährigen Geschichte der ZF-Automatikgetriebe. Der heute 65-Jährige war für die Entwicklung der Getriebe-Steuerung zuständig, die zuerst hydraulisch und später elektronisch vonstattenging. "In den USA, dem Ur-Land der Automatik-Getriebe, haben die Motoren ein großes Hubraum-Volumen und eine geringe Drehzahl. In Europa sind die Hubräume klein und die Drehzahlen hoch. Das verlangt eine ganz andere Technik bei den Automatik-Getrieben", erzählt der Ingenieur, der die Elektronik in die ZF-Getriebe brachte.

Gierer und Bucksch erinnern sich aber auch an die Widerstände, die sie aus der ZF-Konzernzentrale verspürten. Automatikgetriebe galten damals und teilweise noch heute als Antriebsaggregate für die Autos älterer Herrn, die sich zur Fahrt mit Hut und Hosenträgern kleiden, eine umhäkelte Toilettenpapier-Rolle auf der hinteren Ablage platziert haben und grundsätzlich zu langsam unterwegs sind. Außerdem hatten die "Automaten" den Ruf, Spritfresser zu sein. Fahrer, die etwas auf sich hielten, wollten mit Kupplung und Schaltknüppel selbst bestimmen, welchen Gang sie einlegten. Dennoch setzte sich die Automatik-Fraktion bei ZF durch. Denn die ersten Partner aus der Automobil-Industrie waren unter anderem BMW und Alfa Romeo , also Autobauer, die nicht gerade im Ruf stehen, fahrtechnische Langweiler auf die Straße zu bringen.

Ab 1973 baute ZF seine Getriebe in Saarbrücken selbst, errichtete erste Hallen und legte damit den Grundstein für einen einmaligen Ansiedlungs- und Industrie-Erfolg. Anfangs verließen 40 000 Getriebe pro Jahr die Fertigungshallen. 1975 waren es bereits 51 000 und 1990 schon 353 000. Heute werden täglich 10 000 Automatik-Getriebe gebaut, pro Jahr rund 2,5 Millionen. In den vergangenen 50 Jahren hat ZF insgesamt 24 Millionen Automatik-Getriebe gefertigt. Vor allem seit Beginn dieses Jahrzehnts stieg die Produktion sprunghaft an, was sich auch in der Mitarbeiterzahl niederschlug. Waren im Jahr 2011 erst 5860 Männer und Frauen bei dem Automatikgetriebe-Hersteller beschäftigt, so sind es inzwischen 9650. "Damit ist ZF der größte industrielle Arbeitgeber an der Saar", sagt Werksleiter Becker. Allein die Hallen in Saarbrücken umfassen inzwischen eine Fläche von 160 000 Quadratmetern. Hinzu kommt ein zweites Werk in Neunkirchen-Wellesweiler mit 60 000 Quadratmetern.

Die Getriebetechnologie hat sich rasant weiterentwickelt. Auf die drei folgten die vier Gänge (4HP im Jahr 1982), danach die fünf (1990) und im Jahr 2001 die sechs Gänge (6HP). Das Acht-Gang-Getriebe, das derzeit die Saarbrücker Produktion beherrscht, wurde im Jahr 2009 vorgestellt. Seit 2013 gibt es das 9HP, zu dem die Saarländer Komponenten beisteuern. Becker ist längst davon überzeugt, dass die Automatik-Getriebe der herkömmlichen Schaltung überlegen sind. "Sie arbeiten inzwischen adaptiv, stellen sich auf das Temperament des Fahrers ein." Außerdem sei der Spritverbrauch mittlerweile geringer als bei Schalt-Aggregaten.

Das technologische Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. "Wir arbeiten daran, die Getriebe mit dem GPS-Navigationssystem zu verbinden", erzählt der Saarbrücker ZF-Entwicklungschef Ulrich Franzmann. "Wenn sich der Wagen einer Ortschaft nähert, dämpft es automatisch die Geschwindigkeit, sodass das Auto mit 50 Stundenkilometern das Ortsschild erreicht", sagt er. "Es ist längst nicht alles ausgereizt."

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