Die Bombenflüsterer

Saarbrücken · Bomben sind ihr täglich Brot: Die Männer vom Kampfmittelräumdienst entschärfen im Jahr hunderte Blindgänger aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Meist arbeiten sie unbemerkt, routiniert wie vor wenigen Wochen bei der Fliegerbombe in Saarbrücken. Doch manches Mal liegen die Nerven blank.

 Fliegerbomben, Munition und Waffenteile: Reimund Meiser, Michael Kuhn, Dirk Otterbein und Werner Fuchs (von links) rücken im Jahr hunderte Mal aus, um Bomben zu entschärfen. Foto: B&K

Fliegerbomben, Munition und Waffenteile: Reimund Meiser, Michael Kuhn, Dirk Otterbein und Werner Fuchs (von links) rücken im Jahr hunderte Mal aus, um Bomben zu entschärfen. Foto: B&K

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Für gewöhnlich herrscht auf der Großbaustelle reges Treiben. Doch an diesem Tag ist das Gelände, auf dem ein Baumarkt nahe der Saarbrücker Innenstadt entsteht, wie leergefegt. Niemand darf sich nähern. Bombenalarm! Überall Polizei und Feuerwehr. Umliegende Gebäude sind evakuiert. 300 Meter misst die Sperrzone rund um die Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Den Radius haben Werner Fuchs und Reimund Meiser festgelegt, nachdem den beiden Kampfmittelbeseitigern klar war, welch tödliche Sprengkraft im Erdreich lauert. Bauarbeiter haben einen rund 250 Kilo schweren Blindgänger am Morgen ausgebaggert. Er steckt senkrecht in der gefrorenen Erde, nur die Spitze schaut heraus.

Werner Fuchs hat erst wenige Wochen zuvor seinen letzten Lehrgang als Bomben-Entschärfer an der Dresdener Sprengschule absolviert. Nun kniet er über einer Fliegerbombe, die der 55-Jährige später sein Meisterstück nennen wird. Tief brennt sich dieser 15. Dezember 2010 in sein Gedächtnis, treibt seinen Blutdruck in ungeahnte Höhen. "Erst nach drei Tagen waren die Werte wieder normal", erzählt Fuchs.

In welchem Kriegsjahr britische Bomber die tödliche Fracht vom Himmel warfen, die an jenem Tag die Nerven des Räumkommandos aufs Äußerste strapazierte, weiß Dirk Otterbein nicht. Obwohl der Chef der saarländischen Kampfmittelbeseitiger auf fast alle Daten zugreifen kann, die den alliierten Luftkrieg gegen das Saarland unterm Hakenkreuz dokumentieren: an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit, wo die Bomben fielen. Jede Flugzeugflotte im Detail. Dazu Bilder, aufgenommen von alliierten Luftaufklärern. Viele der Schwarz-Weiß-Fotos wirken wie vom Mond. Doch die vermeindlichen Krater des Himmelgestirns sind Bombentrichter. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Doch im Boden im Saarland steckt noch viel Arbeit aus den Weltkriegen für die Bombenentschärfer.

Der Kampfmittelräumdienst residiert in einem Gebäude auf dem Gelände des Saarbrücker Polizeipräsidiums. "Wir sind zwar der Polizei angegliedert, sind aber keine Polizeibeamten", erklärt Otterbein. Der Weg in das Büro im zweiten Stock führt vorbei an einer Galerie des Grauens. In Reih und Glied , teils im Querschnitt, stehen zu Ansichts- und Schulungszwecken Granaten neben Artillerie-Geschossen, Bomben neben Raketen. In allen "gängigen" Größen der damaligen Zeit. Dazu Munition, Handgranaten, Panzerfäuste. "Alles, was man im Saarland so findet", erläutert Otterbein. Jedes Jahr sind es drei bis fünf Tonnen. Das Gefahrengut lagert der Räumdienst in einem ehemaligen Munitionsdepot der Amerikaner, bis es entgültig vernichtet wird.

Etwa 125 Kilogramm Sprengstoff hatte die Fliegerbombe geladen, die Werner Fuchs vor wenigen Wochen in einer Baugrube am Saarbrücker Eurobahnhof entschärfte. "Die Bombe hatte einen mechanischen Zünder, nichts Kompliziertes", beurteilt er seinen jüngsten Einsatz. Der von 2010 war ganz anders. Auch wenn damals zunächst das übliche Prozedere ablief: Mit einem Bagger legten Fuchs und Meiser die Bombe so weit wie möglich frei. Immer darauf bedacht, sie nicht zu erschüttern. Schließlich entfernten sie mit Stahlbürste und Spachtel Erde, Sand und Lehm. Dann entpuppte sich die Bombe als eine mit Langzeitzünder. "Ich dachte nur: Scheiße", erinnert sich Fuchs.

Beim Abwurf entsichert, sollte die Sabotage-Bombe nicht beim Aufprall detonieren, sondern erst Stunden später, wenn die Menschen wieder aus den Schutzräumen kletterten. "Sie sollte Helfer töten, Feuerwehrleute, Sanitäter", erklärt Fuchs.

Bomben mit Langzeitzünder sind so konstruiert, dass in ihrem Innern eine Ampulle mit Aceton zerschlagen wird, wenn sie auf dem Boden aufschlägt. Das Lösungsmittel zersetzt ein Sicherungssystem und löst einen Zündverstärker aus. Erst dann detoniert der Sprengkörper - oder auch nicht, wie im Fall der Baumarkt-Bombe.

Das Heimtückische: "Du siehst von außen nicht, in welchem Stadium die Bombe ist. Wurde sie bei den Erdarbeiten so erschüttert oder bewegt, dass der Zündprozess wieder eingesetzt hat? Und wenn ja, wie viel Zeit bleibt? Bei diesen Zündern ist das Risiko nicht kalkulierbar. Fünf verlorene Minuten, und die Bombe kann hochgehen."

Jede Sekunde zählt

Eine normale Entschärfung dauert zwischen einer halben und einer Stunde. Brauchen die Experten außerplanmäßig länger, wird neu beraten. Bei der Baumarkt-Bombe war der Zünder so verbogen, dass er sich nicht mehr herauslösen ließ. Die Entschärfer mussten sprengen. "Dazu wird auf der Hülle eine Schneidladung aufgebracht. Die wirkt ähnlich wie ein Schneidbrenner", erklärt Fuchs. "Im Idealfall trennt der Sprengstoff die Bombenhülle auf und schleudert Zünder und Bombenboden so hinaus, dass die Bombe nicht explodiert." Auf dem Baumarkt-Gelände funktioniert das. Am Abend ist die Gefahr endlich gebannt.

Denkt Fuchs an die Lieben daheim, wenn er eine Bombe entschärft? Der Mann mit dem Schnauzbart zieht die Stirn in Falten, dann antwortet er: "Was dann wirklich in einem vorgeht, ist schwer in Worte zu fassen. Aber wenn ich eine Bombe unschädlich gemacht habe, rufe ich meine Frau an."

 Etwa 250 Kilo wiegt diese Fliegerbombe mit Langzeitzünder. Foto: B&K

Etwa 250 Kilo wiegt diese Fliegerbombe mit Langzeitzünder. Foto: B&K

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HintergrundWie viele Blindgänger aus den Weltkriegen bis heute im Saarland im Boden stecken, weiß niemand. 2013 waren die Experten des Kampfmittelbeseitigungsdienstes 190 Mal im Einsatz. Dabei stellten sie rund fünf Tonnen Kampfmittel, Munition und Waffenteile sicher.Kampfmittel, auf die jemand etwa bei Bau- oder Gartenarbeiten stößt, "sollten an Ort und Stelle liegengelassen werden", sagt Dirk Otterbein, Leiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes. Er empfiehlt, umgehend die Polizei zu alarmieren, die dann alles Weitere in die Wege leitet: "Auch wenn nur der Verdacht besteht: anrufen!" Lieber würden er und seine Kollegen umsonst ausrücken "als einmal zu wenig". tog

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