Das Saarland fährt auf Verschleiß

Saarbrücken · Der neue Finanzbericht der Beratungsgesellschaft PwC stützt einerseits den Sparkurs der Landesregierung, kritisiert andererseits aber Kürzungen bei den Investitionen. Das Land lebt von seiner Substanz.

Jeder im Saarland kennt vermutlich eine Straße, die dringend ausgebessert werden müsste, oder eine Schule, die seit Jahren renovierungsbedürftig ist. Doch für viele Investitionen in die öffentliche Infrastruktur fehlt das Geld . Dem neuen Länderfinanzbericht der Beratungsgesellschaft PwC zufolge stecken nur Hamburg, Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg ausreichend Geld in Straßen, Schulen, Verwaltungsgebäude oder den öffentlichen Nahverkehr. Das Saarland und seine Kommunen geben demnach 276 Euro je Einwohner für Sachinvestitionen aus - und damit weit weniger als jene 456 Euro , die laut PwC rechnerisch nötig wären, um die Vermögenssubstanz zu erhalten. "Bei aller Notwendigkeit zur Konsolidierung der Haushalte und zur Einhaltung der Schuldenbremse dürfte es auf längere Sicht überhaupt keinen Sinn ergeben, die öffentliche Infrastruktur weiter ‚auf Verschleiß zu fahren'", kritisieren die PwC-Experten. Denn dann drohe früher oder später fast zwangsläufig der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit.

Die Saar-Kommunen klagen ebenfalls über einen "gewaltigen Sanierungsstau" und in der Folge mittelfristig massiv steigende Unterhaltungskosten. Der Städte- und Gemeindetag fordert daher Investitionsprogramme von Bund und Land. Das Land kürzt allerdings selbst bei Investitionen . Finanzminister Stephan Toscani (CDU ) will "jede Investition auf den Prüfstand stellen, zugleich aber den Haushalt nicht zu Lasten von Zukunftsinvestitionen sanieren".

Es ist allerdings nicht so, dass PwC wegen zurückgehender Investitionen den ganzen Sparkurs infrage stellt. Im Gegenteil: Die Berater, die im Saarland in den vergangenen Jahren mehrere Gutachten für die Landesregierung schrieben, treiben die große Koalition regelrecht zu weiteren Kürzungen an, fordern "extreme" Anstrengungen. Allerdings stellen sie in ihrem 219 Seiten dicken Bericht auch fest, dass das Saarland und Bremen aus eigener Kraft die Schuldenbremse nicht schaffen können. Neu ist dieser Befund nicht; die Landespolitik ist schon seit längerem dieser Meinung, weshalb sich gestern praktisch alle von der Studie bestätigt fühlten. Toscani erklärte, die Feststellung von PwC stärke die Position des Landes in den laufenden Finanzverhandlungen mit dem Bund und den übrigen Ländern. Denn Bayern, Hessen und mehrere ostdeutsche Länder wollen von einer Teilentschuldung des Saarlandes bislang nichts wissen.

Das Problem sind die hohen Zins- und Pensionslasten, für die das Land und seine 52 Kommunen im Jahr 2020 fast jeden dritten Euro ausgeben werden. Weil das Land dann keine neuen Schulden mehr machen darf, hat es für Bildung, Polizei oder eben Investitionen deutlich weniger Geld zur Verfügung als andere Länder. Ähnlich geht es den Gemeinden. Land und Kommunen setzen deshalb darauf, dass der Bund dem Saarland einen großen Teil seiner Schulden und damit der Zinsen abnimmt. Um diese Frage geht es in den laufenden Verhandlungen auf Bundesebene. Konkret schlägt PwC vor, das Saarland (14 Milliarden Euro Schulden ) und seine Kommunen (drei Milliarden) bis auf das Niveau des am zweithöchsten verschuldeten Flächenlandes Rheinland-Pfalz zu entschulden. Dazu müssten 5,8 Milliarden Euro ins Saarland fließen.

PwC bescheinigt dem Saarland durchaus Erfolge beim Sparen, was CDU und SPD auch umgehend hervorhoben. Während der Finanzbedarf des Landes den Berechnungen zufolge seit 2010 um zwei Prozent gesunken ist, stieg er bei den Kommunen allerdings um 5,8 Prozent an - stärker als in jedem anderen Bundesland. Die Saar-Kommunen, folgert PwC, müssten sich "wesentlich stärker um eine Haushaltskonsolidierung bemühen". Die Bürgermeister dürften dies mit Kopfschütteln quittieren. Sie sind der Meinung, dass bei ihnen kaum noch etwas zu sparen ist. Das sieht Innenministerin Monika Bachmann (CDU ) offenbar anders: Sie kündigte gestern an, Städte und Gemeinden künftig stärker zu kontrollieren und die Zahl der Prüfer im zuständigen Landesverwaltungsamt von zwei auf fünf bis sechs aufzustocken.Es dürfte mittlerweile jedem klar sein, dass das Saarland eine Teilentschuldung braucht, um jemals wieder finanzielle Spielräume zu bekommen. Jeder Euro , den das Land in die Zinskosten steckt, fehlt bei gedeckelten Ausgaben für Investitionen .

Man kann die Schuldenbremse verteufeln, sie hat zweifellos problematische Seiten. Andererseits war es an der Zeit, das Schuldenmachen zu stoppen. Und vor allem: Erst durch die Schuldenbremse ist der Druck auf die Politik so groß geworden, dass ernsthaft über eine Altschuldenregelung verhandelt wird. Das Saarland wird aber niemanden von der eigenen Hilfsbedürftigkeit überzeugen, wenn es sich mehr leistet als andere. In Berlin um Hilfe zu flehen und von anderen Ländern nachgewiesen zu bekommen, dass man sehr wohl noch sparen könnte, wäre für die eigene Verhandlungsposition eine Katastrophe.

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