Die Kamera darf nicht alles sehen

Luxemburg · Datenschutz ist im Zeitalter der Rundumüberwachung für viele ein hohes Gut. Das müssen auch Privatleute beachten, wenn sie Haus und Hof mit einer Kamera schützen wollen, sagen Europas höchste Richter.

Sie hängen vor Ministerien, Polizeistellen, Firmengebäuden oder in U-Bahnen: Auf rund eine Million schätzen Experten die Zahl der Überwachungskameras in der Bundesrepublik. Und längst sind es nicht mehr nur öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen, die auf Videoüberwachung setzen. Immer mehr Hausbesitzer bringen eigene Kameras an, um Verbrecher abzuschrecken oder überführen zu können. Doch auch sie müssen sich an Datenschutzregeln halten, wie jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg festgestellt hat.

In einem Grundsatzurteil stellen Europas oberste Richter fest, dass Privatleute zwar ihr Eigentum schützen dürfen, aber rechtlichen Einschränkungen unterliegen, wenn die Kameras auch den öffentlichen Raum, also zum Beispiel den Gehweg oder die Straße vor dem Haus, erfassen. "Dies verlangt grundsätzlich die Einwilligung der Betroffenen zur Verarbeitung der Daten", sagte EuGH-Sprecher Hartmut Ost der SZ. Ausnahmen sind nur möglich, wenn das Interesse der Hausbesitzer besonders schwer wiegt. Das Urteil kommt daher in der Praxis einer deutlichen Einschränkung der privaten Überwachung gleich.

Konkret hatte das Gericht über einen Fall aus Tschechien zu entscheiden. Die Familie von Frantisek Rynes fühlte sich bedroht, weil Unbekannte mehrfach Fenster ihres Hauses einwarfen. In der Folge installierte er eine Überwachungskamera, die nicht nur sein Grundstück, sondern auch die Straße und den Eingang des Hauses gegenüber im Blick hatte. Als 2007 erneut Scheiben zu Bruch gingen, konnten durch die Aufnahmen zwei Verdächtige ermittelt werden. Einer der beiden protestierte jedoch dagegen, dass seine Daten ohne seine Einwilligung genutzt wurden, worauf die Datenschutzbehörde eine Geldbuße gegen Frantisek Rynes verhängte. Der klagte dagegen und berief sich auf die Ausnahme im europäischen Datenschutzrecht , wonach eine Überwachung zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums zulässig ist. Das Oberste Gericht Tschechiens legte den Fall dem EuGH vor - mit dem Ergebnis, dass das Datenschutzrecht im öffentlichen Raum auch für private Aufnahmen gilt. Die Ausnahme im europäischen Datenschutzrecht sei "eng auszulegen".

Das Gericht weist zudem auf die Möglichkeiten der Mitgliedstaaten hin, das Recht selbst zu präzisieren. Dies ist in Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten bereits geschehen. So dürfen Hausbesitzer hierzulande nur ihr eigenes Grundstück überwachen. Die Kameras dürfen nicht so ausgerichtet sein, dass öffentliche Wege oder der Garten des Nachbarn gefilmt werden. Vorgeschrieben ist auch, dass die Geräte sichtbar montiert sind oder mit einem Schild auf sie hingewiesen wird. In einem Mehrfamilienhaus ist eine Überwachung nur mit der Zustimmung aller Parteien möglich.

Von Bedeutung ist das Urteil für Deutschland dennoch, weil auf europäischer Ebene derzeit eine Datenschutzverordnung verhandelt wird, die in ganz Europa gelten und die nationalen Gesetze ersetzen soll. Die jüngsten Entwürfe orientieren sich dabei in diesem Punkt an der alten Richtlinie - auch dort gibt es eine Ausnahme für Privatleute, auch dort tritt das Recht auf Nicht-Überwachung mit dem privaten Schutzbedürfnis in Konkurrenz. "Der Gerichtshof hat mit seinem Urteil die jetzige Praxis in Deutschland als Standard festgesetzt", sagt der Grünen-Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht, der für das Parlament die neue Datenschutzordnung verhandelt.

Meinung:

Auch Sicherheit hat Grenzen

Von SZ-Redaktionsmitglied Janek Böffel

Einbrüche sind für die Opfer traumatische Erlebnisse. Nicht nur weil möglicherweise Bargeld, Schmuck und Flachbildfernseher weg sind. Sondern weil sie oft etwas viel Wichtigeres verlieren: das Gefühl der Sicherheit in den eigenen vier Wänden. Viele können nach Einbrüchen nachts nicht mehr ruhig schlafen und müssen sogar umziehen. Deshalb ist es nur allzu verständlich, wenn Menschen ihre Intimsphäre mit Kameras schützen wollen. Das sollen sie auch dürfen. Aber Prävention muss Grenzen haben. Und das haben die Luxemburger Richter jetzt zu Recht klargestellt. Was der Nachbar im Garten macht, das spielende Kind auf der Straße oder der Paketbote am Haus gegenüber - das alles hat nichts auf Überwachungsbändern zu suchen. Der Wunsch des Einzelnen nach mehr Sicherheit zu Hause kann nicht zu Lasten des Datenschutzes gehen. Um die eigene Intimsphäre zu schützen, darf die anderer nicht verletzt werden.

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