Europa will neue Mission im Mittelmeer

Luxemburg/Brüssel · Seit Jahren diskutiert Europa über eine neue Flüchtlingspolitik. Nun erhöht das schwere Bootsunglück im Mittelmeer den Druck. Die EU-Staaten scheinen zu einer neuen Seenotrettung bereit. Doch die Interessen sind ganz verschieden.

Den Außenministern der EU blieb gestern nicht mal die Zeit, sich bis zum Tagesordnungspunkt "Flüchtlinge " vorzuarbeiten, da ging schon die nächste Katastrophenmeldung ein: Ein völlig überfülltes Schiff mit über 300 Menschen war am Mittag gekentert. Die italienische Marine eilte vor Ort. "Mit Rücksicht auf den Tod der Menschen im Mittelmeer können wir nicht zur Tagesordnung übergehen", erklärte denn auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor dem Treffen in Luxemburg, zu dem neben den Außen- auch die Innenminister der Mitgliedstaaten angereist waren. "Europas Öffentlichkeit erwartet zu Recht, dass sich die Politik mit dieser Tragödie, mit der Fortsetzung dieser Tragödie befasst."

Die Stellungnahmen klangen nach Entschlossenheit. "Zu oft haben wir gesagt: nie wieder!", betonte die Chefin des Auswärtigen Dienstes der EU, Federica Mogherini. "Jetzt ist es an der Zeit, dass die Europäische Union als Ganzes diese Tragödien verhindert."

Schon am Donnerstag werden deshalb die 28 Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel nach Brüssel kommen. "Das muss eine Begegnung sein, die Ergebnisse bringt", forderte Bundesinnenminister Thomas de Maiziére. Auf dem Tisch liegt bereits ein Vorschlag der EU-Kommission, der zumindest in einem Punkt unumstritten ist: Die Seenotrettung Schiffbrüchiger wird ausgebaut. Eine Neuauflage der italienischen Operation "Mare Nostrum" - bis November durften Marine , Grenzschützer und Polizei bis an das libysche Hoheitsgebiet heranfahren, um bereits dort Menschen zu retten - dürfte es aber nicht geben. Stattdessen soll jetzt nach den Worten des Bundesinnenministers geprüft werden, ob man nicht nach dem Vorbild der internationalen Aktion gegen Schiffspiraterie vor Somalia Einheiten zusammenzieht, die sehr frühzeitig Flüchtlingsschiffe aufbringt, Menschen rettet und dabei auch noch den Kampf gegen die Schlepper verschärfen kann. Parallel dazu hatte Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi vorgeschlagen, eine Seeblockade mit Schiffen unmittelbar vor der Küste Nordafrikas zu errichten, um riskante Überfahrten schon unmittelbar nach dem Ablegen zu verhindern. Dafür, so der römische Regierungschef, sei jedoch ein Mandat der Vereinten Nationen nötig, weil es sich ansonsten um einen "kriegerischen Akt" handele.

Dass es nun offenbar doch zu einer konzertierten Aktion Europas kommen könnte, liegt nicht zuletzt an den Informationen, die der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) noch einmal unterstrich. Demnach warten bis zu einer Million Menschen in den Lagern an den nordafrikanischen Küsten darauf, nach Europa fliehen zu können. Dennoch ist völlig unklar, ob sich die Staats- und Regierungschefs jetzt auf eine derart weitreichende Korrektur ihrer bisherigen Linie einigen können. Der tschechische Außenamtschef Lubomir Zaoralek lehnte es gestern bereits ab, die Seenotrettung zu intensivieren: "Wenn wir den Schleppern ihre Arbeit erleichtern und von Bord gegangene Flüchtlinge entgegennehmen, wird daraus für sie ein noch besseres Geschäft." Auch diese Position wird bisher von vielen Ländern geteilt.

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