„Es geht um noch mehr Macht“

London · Der amerikanische Journalist und Publizist Glenn Greenwald wird an diesem Sonntag in Homburg mit dem „Siebenpfeiffer-Preis 2015“ ausgezeichnet. Greenwald wurde weltweit bekannt, als er im Juni 2013 die streng geheimen Dokumente des US-Enthüllers Edward Snowden veröffentlicht und die massenhafte Überwachung der Bevölkerung durch Geheimdienste angeprangert hatte. Mit Greenwald sprach SZ-Redaktionsmitglied Florian Mayer.

Mr. Greenwald, vor 18 Monaten haben Sie die ersten Snowden-Dokumente veröffentlicht. Wie hat sich seitdem Ihr Leben verändert?
Greenwald: Es hat sich so ziemlich alles verändert in meinem Leben. Mit solchen Enthüllungsgeschichten sind ja gewisse Risiken verbunden, zum Beispiel überwacht und von der eigenen Regierung sogar bedroht zu werden. Aber die Tatsache, diese wichtige Debatte rund um die Welt mit entfacht zu haben und daran teilnehmen zu können, empfinde ich als sehr erfüllend.

Glauben Sie, dass Sie immer noch überwacht werden?
Greenwald: Wir haben keine eindeutigen Beweise dafür, aber es wäre schon sehr überraschend, wenn sie das nicht tun würden. Und wir arbeiten auch unter der Annahme, dass wir ständig unter Beobachtung stehen.

Die Dokumente von Edward Snowden zeigen uns, dass Millionen Menschen überall auf der Welt überwacht werden. Wie wirkt sich das Ihrer Meinung nach auf unseren Alltag aus?
Greenwald: Nun, vor allem wissen die Menschen jetzt, dass ihre Privatsphäre missachtet wird. Außerdem hatten wir erstmals weltweite Debatten über den Wert der eigenen Privatsphäre und deren Bedrohung durch staatliche Überwachung. Wir haben ferner neue Erkenntnisse über die Rolle der Vereinigten Staaten in der Welt und darüber, welche Rolle ein unabhängiger Journalismus in der Demokratie spielt. Dass die Menschen darüber Bescheid wissen, versetzt sie in die Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Sie können etwa Firmen wie Facebook und Apple unter Druck setzen, die nun beweisen müssen, dass sie den Schutz der Privatsphäre ernst nehmen.

Apple will zwei große Datenzentren in Europa bauen und Facebook hat WhatsApp eine Verschlüsselung spendiert. Sind das die richtigen Ansätze?
Greenwald: Naja, die Entwicklung ist wichtig, aber ich glaube nicht, dass sich die Firmen für den Schutz der Privatsphäre wirklich interessieren. Das hat man ja gesehen, als sie ungeniert mit der NSA zusammengearbeitet haben. Aber seit den Snowden-Enthüllungen sind alle sehr darum besorgt, die nächste Kunden-Generation an Firmen aus Korea, Brasilien oder Deutschland zu verlieren, die sagen: Bloß nicht Facebook , Skype oder Apple nutzen!

Es schnüffelt ja nicht nur die NSA, auch andere Geheimdienste sind aktiv. Wie sagen Sie zum Vorgehen des britischen GCHQ?
Greenwald: Großbritannien ist eine der extremsten Regierungen im Westen, was Pressefreiheit, Geheimhaltung und Überwachung betrifft. Ich bin überrascht, dass die EU keine härteren Maßnahmen gegen Großbritannien fordert. Die größte Bedrohung für die Privatsphäre der europäischen Bürger sind tatsächlich die britischen Behörden. Das GCHQ geht noch schärfer vor als die NSA.

Die Dienste rechtfertigen ihre Überwachung gern mit der Aussage, nur so ließen sich Terroranschläge verhindern.
Greenwald: Zahlreiche Regierungsbehörden in den USA haben sich genau mit dieser Frage beschäftigt. Sie kamen alle zu dem Schluss, dass kein einziger Terrorakt durch die Massenüberwachung verhindert wurde. Außerdem stellten sie fest, dass die Terrorangriffe, die entdeckt wurden, auch durch ganz gezielte Überwachung entdeckt worden wären. Das Terror-Argument ist einfach nur eine Ausrede.

Was hat Sie an den Snowden-Dokumenten am meisten schockiert?
Greenwald: Ganz klar das Motto der NSA: "Sammel alles!" Das Ziel ist offenbar, das Internet in einen Raum totaler Überwachung zu verwandeln. Diese Leute wollen die Privatsphäre im digitalen Zeitalter vollständig abschaffen.

Und warum sollten sie das wollen?
Greenwald: Weil Überwachung Macht verleiht. Das will jede Regierung. Wenn man die komplette Bevölkerung unter einem Mikroskop betrachten kann, dann kann man sie viel besser kontrollieren und manipulieren. Es geht wirklich nur darum, noch mehr Macht zu erhalten und die eigene Bevölkerung unter Kontrolle zu haben.

Das würde frontal gegen die demokratischen Grundwerte unserer Gesellschaft gehen.
Greenwald: Ja, in der Tat. Der noch größere Teil der Geschichte ist nicht die Bedrohung der Privatsphäre , sondern die Bedrohung der Demokratie . Wenn Regierungen dazu in der Lage sind, extreme Überwachungsmaßnahmen durchzuführen und diese auch noch komplett zu verschleiern, dann ist Demokratie nicht mehr als eine Illusion. Außerdem bedeutet Privatsphäre nicht nur, dass man Dinge tun kann, von denen andere nichts wissen. Sie ist der Anker für alle anderen Rechte. Denn wie soll etwa eine freie Presse funktionieren, wenn die Regierung genau weiß, wer mit wem spricht? Ich denke, alle politischen Freiheiten sind in Gefahr, wenn man ein System der Massenüberwachung akzeptiert.

Die USA haben trotz der Enthüllungen aber nichts geändert. Warum nicht?
Greenwald: Der US-Präsident hat sehr viel Macht und kann sehr vieles verändern. Aber viele Menschen haben ein falsches Bild von Barack Obama . Das Überwachungssystem wurde sehr stark ausgeweitet, seitdem er Präsident ist - und zwar viel stärker als unter Präsident Bush. Obama hätte die Möglichkeit, die Programme der NSA zu stoppen. Er tut es aber nicht. Das zeigt, wie er wirklich tickt.

Wir können also keine Besserung erwarten?
Greenwald: Das ist einfach nicht realistisch. Es wäre naiv zu glauben, dass Regierungen ihre eigene Macht beschneiden. Das muss schon von außerhalb kommen.

Und wie kann der durchschnittliche Nutzer den Geheimdiensten das Leben schwer machen?
Greenwald: Indem er sich weigert, Produkte von Unternehmen zu verwenden, die mit den Behörden zusammenarbeiten. Er kann zudem auf Verschlüsselungsprogramme wie beispielsweise den "Tor"-Browser setzen. Solche Programme müssen nur noch ein wenig einfacher und nutzerfreundlicher werden. Aber es gibt sie.

Wie geht es Edward Snowden momentan?
Greenwald: Edward geht es sehr gut. Seine Freundin konnte mittlerweile zu ihm nach Moskau ziehen, wo sie zusammen wohnen. Das hat viel geholfen. In Hongkong dachten wir ja noch, er wird für Jahrzehnte oder den Rest seines Lebens im Gefängnis landen. Dass er sich jetzt frei an der weltweiten Debatte, die er losgetreten hat, beteiligen kann, ist toll und außerordentlich wichtig.

Zum Thema:Glenn Greenwald (48), Jurist und Journalist, stammt aus New York und lebt heute in Rio de Janeiro. Der engste Vertraute des Whistleblowers Edward Snowden schreibt Bücher (,,Die globale Überwachung"), ist die prägende Figur der Internet-Plattform ,,The Intercept", gibt Interviews auf der ganzen Welt und ist ständiger Gast in US-Talkshows. Für seine ehemaligen Zeitungen ,,Guardian" und ,,Washington Post" hat er 2014 den Pulitzer-Preis gewonnen, kürzlich wurde er in Los Angeles - gemeinsam mit Laura Poitras - mit dem ,,Oscar" für den Snowden-Film ,,Citizenfour" geehrt. bb

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