Front-National-Bürgermeister eckt mit Politik in Frankreich an

Hayange · Er schikaniert Muslime, übermalt Kunst, die ihm nicht gefällt, und entlässt seine Kritiker: Der Bürgermeister von Hayange im benachbarten Lothringen ist erst kurz im Amt. Seine Politik verstört schon jetzt die Republik.

Ein paar Quadratzentimeter blaue Farbe sind wieder abgefräst, doch der Stein des Anstoßes steht immer noch da, mitten auf dem Kirchplatz von Hayange . Im Sommer hatte Fabien Engelmann den eiförmigen Granitstein, Teil einer Brunnenskulptur, die er zu düster fand, einfach anstreichen lassen. Ohne den Künstler zu fragen. Der forsche Umgang des neuen Front-National-Bürgermeisters mit der Kunst rief sogar Kulturministerin Aurélie Filippetti in Paris auf den Plan und schlug landesweit Wellen. Engelmann reagierte patzig: Ja, er werde die Farbe wieder abmachen - aber dann kommt das Ding an den Stadtrand.

In diesen Oktobertagen steht die lädierte Skulptur immer noch auf dem zentralen Platz der 16 000-Einwohner-Stadt wie ein Symbol für Engelmanns rüde Art der Politik. Kein anderer der elf Kandidaten des ultrarechten Front National , die im Frühjahr in Frankreich ein Rathaus eroberten, sorgte für so viele Schlagzeilen wie er.

Hayange liegt mitten im krisengeschüttelten Schwerindustriegebiet Val de Fensch, weniger als 40 Kilometer vom Saarland entfernt. Die Zahl der Arbeitssuchenden ist seit 2007 dramatisch gestiegen - um 75 Prozent. Die beiden abgeschalteten Hochöfen des Stahlkonzerns Arcelor Mittal im angrenzenden Florange, das gebrochene Versprechen von Präsident François Hollande , sie zu retten, hat man in Hayange mit seinen 13 Prozent Arbeitslosen täglich vor Augen. Der 35-jährige Engelmann, der einst Gewerkschafter der kommunistischen C.G.T. war, bevor er 2010 zu FN-Chefin Marine Le Pen wechselte, versprach den Hayangern mehr Sicherheit, Sauberkeit und eine schönere Innenstadt. Das reichte, um die Wahl zu gewinnen. Mit 34,7 Prozent der Stimmen verbannte der Front National die Sozialisten, die hier 20 Jahre lang regierten, noch hinter den Konservativen auf den dritten Platz. Dass Engelmann jetzt ausgerechnet wegen mutmaßlichen Unregelmäßigkeiten bei der Finanzierung seines Wahlkampfes ins Visier der Justiz geraten ist, stört seine Sympathisanten nicht.

"Er hat doch auch viel getan hier", nimmt ihn eine 80-Jährige, die in einem türkischen Imbiss zu Mittag isst, in Schutz. Das Stadtzentrum, das nicht nur bei Regen trist wirkt, lässt Engelmann mehrmals täglich mit der Kehrmaschine reinigen, Straßengitter und Bänke erhielten eine frische Lackierung. Und vor der düsteren Trinité-Kirche stellte der Bürgermeister, der vorher als Gemeindearbeiter im Nachbarort Grünanlagen pflegte, riesige orangefarbene Plastik-Blumentöpfe mit Bäumchen auf. Für Gilles Wobedo (27), Präsident des oppositionellen Vereins "Hayange plus belle ma ville", ist das alles nur Effekthascherei. "Engelmann verdreht viele Wahrheiten", sagt Wobedo verärgert. Mit einem Bettel- und Alkoholverbot habe er etwa Randständige vor einem Supermarkt vertrieben. "Er erklärte sie zur Sicherheitsgefahr, obwohl das eher ein Gesundheitsproblem war, und schob das auch noch den Asylbewerbern in die Schuhe", erklärt der gelernte Krankenpfleger. Auch dass Engelmann die Polizei mit Schlagstöcken und Tränengas ausstatten ließ, passt für Wobedo zu dieser Tatsachenverdrehung. Laut Kriminalstatistik sei Hayange immer unauffällig gewesen. Dass kürzlich Kinder beim Einbrechen erwischt wurden, nennt er Ironie des Schicksals: Erst seit Engelmann im Amt ist, mehrten sich die Delikte.

Schlimmer findet Wobedo aber die Attacken Engelmanns gegen Muslime . In seiner Autobiografie "Vom Linksextremismus zum Patriotismus", die der FN-Mann nach den Wahlen in einem rechtsex tremen Verlag herausbrachte, legt er seine Islamfeindlichkeit breit dar. Sie gab den Ausschlag, dass er sich 2010 der Le-Pen-Partei anschloss. Sein zweites Idol ist die französische Schauspielerin Brigitte Bardot . Wenn er nach ihr eine Hayanger Straße benennen will, ist das alles andere als harmlos. Denn das einstige Sex-Symbol, heute Le-Pen-Verehrerin, wurde schon fünf Mal wegen Anstachelung zum Rassenhass verurteilt.

Muslime in Hayange schikaniert der FN-Bürgermeister immer wieder. So nahm er einem Halal-Metzger den Anlieferungs-Parkplatz vor dem Laden weg, indem er ihn zum Behindertenparkplatz deklarierte. Obwohl sich an der gegenüberliegenden Seite der große Rathausplatz befindet, mit viel besseren Parkmöglichkeiten für Behinderte. Abdelkader Kharchach, der zweite Halal-Metzger in der Stadtmitte, erhielt von Engelmann einen Brief, worin er ihm verbieten wollte, sein Geschäft wie gewohnt an Sonntagen zu öffnen. "Ich habe den Laden seit sieben Jahren und hatte noch nie ein Problem", sagt der 37-Jährige. Nachdem er einen Anwalt einschaltete und die Presse darüber berichtete, rückte der Bürgermeister davon wieder ab. Im September ließ Engelmann, der nach eigenem Bekunden als Tierfreund nur Käse isst, in der Stadt erstmals ein "Fest des Schweins" feiern. Das Volksfest zog viele rechte Skinheads an und war ein weiterer Beleg dafür, dass Muslime in Hayange unerwünscht sind. "Danach fanden wir einen Schweinekopf vor unsere Moschee", erzählt Kharchach. Auf der Straße erlebt er inzwischen häufiger, dass man seinem Blick ausweicht. Manche Kunden würden seinen Laden meiden. Andere seien dazu gekommen, weil sie ihn unterstützen wollen, sagt der Metzger.

Das Klima in der Stadt habe sich seit der Wahl schon sehr verändert, finden auch einige ältere Männer, die gerade an seiner Theke anstehen. Auch im Rathaus mehrten sich seit längerem die Beschwerden über den "Tyrannen von Lothringen " ("Le Monde "), der Le Pen ausgerechnet als "Berater für den sozialen Dialog" dient. Nicht nur CGT-Gewerkschafter klagten über Repression des Personals. Engelmanns Hauptamtsleiterin, selbst Parteimitglied, warf deswegen noch in der Probezeit die Brocken hin. Drei FN-Beigeordnete ließ Engelmann im September abwählen. Die erste, Marie Da Silva, im Wahlkampf noch dessen engste Verbündete, hat den Bürgermeister jüngst angezeigt. Die Staatsanwaltschaft Thionville hat eine Vorermittlung eingeleitet wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung, "Vertrauensmissbrauch" und "Nötigung". Auf Geheiß Engelmanns soll Da Silva 3000 Euro für Rechnungen vorgestreckt haben, ohne dass er das Geld zurückerstattet und pflichtgemäß als Ausgaben verbucht habe. Kann sie das nachweisen, wie sie behauptet, droht Engelmann laut "Libération" die Annullierung der Wahl und der Verlust des passiven Wahlrechts. Für die Opposition beweist der Fall Engelmann einmal mehr, dass Le Pen für ihre Bereitschaft zu regieren gar nicht genug kompetente Führungskräfte hat.

In Hayange hat man zurzeit noch ganz andere Sorgen: Der internationale Konzern Tata Steel will seine Europastandorte, darunter das Bahnschienen-Werk vor Ort, an einen US-Finanzinvestor verkaufen. Weitere 450 Hayanger fürchten nun um ihre Arbeitsplätze.

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