Der fast vergessene Streit um die deutsche Rechtschreibung

Frankfurt · Kritiker denken, dass die Rechtschreibreform viel Unheil angerichtet hat – die Fehlerquote sei stark gestiegen. Die Gesellschaft für deutsche Sprache sieht das gelassener. Vor zehn Jahren trat die umstrittene Reform in Kraft.

Vor zehn Jahren noch tobte in Deutschland ein erbitterter Streit um Doppel-S, Kommasetzung oder die Frage, ob Wörter getrennt oder zusammengeschrieben werden. Als am 1. August 2005 die Rechtschreibreform in fast allen Bundesländern in wesentlichen Teilen verbindlich wurde, erregte das die Gemüter wie kaum ein anderes Thema.

Für Aufregung sorgt die Reform längst nicht mehr, so mancher staunt im Rückblick eher über den damaligen Wirbel. "Die Auseinandersetzung war wirklich gespenstisch", erinnert sich der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung und frühere bayerische Kultusminister, Hans Zehetmair (CSU ), in einem Gespräch mit der Wochenzeitung "Die Zeit". Nicht nur Experten und Politiker rangen heftig um das Reformwerk. Fragen der Rechtschreibung spalteten plötzlich die ganze Nation: Renommierte Schriftsteller protestierten lautstark gegen die Neuregelungen, Verlage und Zeitungen positionierten sich, Lehrer und Eltern diskutierten über Sinn oder Unsinn der Reform an den Schulen.

"Mit vorsichtiger Demut möchte ich sagen, dass die Deutschen wohl zur Übertreibung und zum Grundsatzstreit neigen", urteilt Zehetmair rückblickend. Der von ihm geleitete Rechtschreibrat trug letztlich entscheidend dazu bei, dass der Streit heute fast vergessen ist. Der Rat aus Wissenschaftlern und Sprachpraktikern aus verschiedenen Bereichen war als Konsequenz aus der anhaltenden Kritik an der Reform eingerichtet worden. Die Experten legten schließlich Anfang 2006 Nachbesserungsvorschläge vor. Auf dieser Grundlage wurde das revidierte Regelwerk am 1. August 2006 bundesweit verbindlich. Ab August 2005 galt für die umstrittenen Regelungen wie die Getrennt- und Zusammenschreibung ausdrücklich noch eine Übergangsfrist, zudem waren Bayern und Nordrhein-Westfalen den übrigen Ländern zunächst nicht gefolgt. Erst mit den Empfehlungen des Rats gelang es, einen Schlussstrich unter den jahrelangen Streit zu setzen.

Der Rechtschreibrat beobachtet nun zwar weiter die Entwicklungen der Rechtschreibung , um in Abständen Anpassungen vorzunehmen. Fernab der Öffentlichkeit. "Der Rat macht heute das, was früher der Duden gemacht hat", sagt Geschäftsführerin Kerstin Güthert. Statt eines Verlages habe die Aufgabe ein staatlich eingesetztes Gremium übernommen. Die letzten Änderungen seien 2010 beschlossen worden. Proteste erreichten den Rat heute selten. Güthert: "Der letzte empörte Brief liegt schon Monate zurück."

"Die Reform ist angekommen", zeigt sich das Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft , Ilka Hoffmann, überzeugt. Die Reaktionen vor zehn Jahren seien "ein bisschen überzogen" gewesen; sie hätten wohl auch da hergerührt, "dass die Rechtschreibung gerade im Bildungsbürgertum ein Sakrileg war". Es sei durch die Reform in der Rechtschreibung vieles logischer geworden. Die Reform sei an den Schulen "überhaupt kein Thema" mehr, sagt auch der Vorsitzende des vor allem die Gymnasiallehrer vertretenden Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger.

Begeistert spricht er noch immer nicht vom Regelwerk: "Man hat sich daran gewöhnt." Bei dem, was am Schluss herausgekommen sei, hätte man sich den "Riesenaufwand" sparen können, meint Meidinger rückblickend. Ähnlich kritisch urteilt Zehetmair: "Die Nation wäre nicht zerbrochen, wenn wir nichts gemacht hätten." In dieser Form sei die Reform überflüssig gewesen. Das heiße nicht, dass behutsame Änderungen unnötig seien. "Aber ob man Friseur mit ö schreibt oder mit eu - wen sollte das aufregen?"

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