„Glück ist kein Ego-Trip“

Viele Menschen in Deutschland haben Angst vor den Folgen des Zustroms von Migranten. Ihrer Regierung trauen sie Lösungen derzeit kaum zu. Das müssen sie auch nicht, sagt der Kölner Psychiater und Theologe Manfred Lütz. Er hat sich jüngst mit dem Thema Glück beschäftigt und sagt: Flüchtlingen zu helfen, macht glücklich.

Herr Lütz, Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel: "Wie Sie unvermeidlich glücklich werden". Derzeit könnten viele Deutsche durchaus eine Anleitung zum Zufriedensein gebrauchen.

Lütz: Stimmt, vielen macht die Flüchtlingskrise große Sorgen.

Und das macht sie unglücklich . . .

Lütz: Das verunsichert jedenfalls. Die Deutschen sind zu Recht stolz auf ihre Willkommenskultur. Aber sie wissen auch, dass Deutschland natürlich nicht 25 Millionen Syrer aufnehmen kann. Da muss die Politik Lösungen finden.

Laut Umfragen trauen das viele Deutsche Berlin derzeit nicht zu.

Lütz: Die Lage ist ja auch wirklich sehr kompliziert. Wichtig ist aber, dass man streng zwischen der politischen Beurteilung der Flüchtlingskrise und der Begegnung mit den einzelnen Flüchtlingen unterscheidet. Ich mache dabei überhaupt keinen Unterschied zwischen sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen und politisch Verfolgten. Wenn ich mit meiner Familie in Afrika leben würde, wäre ich auch Wirtschaftsflüchtling. Man sollte jedem dieser Menschen herzlich begegnen. Es kann schon helfen, solche Menschen auf der Straße einfach mal anzulächeln. Aber man darf nicht bloß die Last der Krise sehen, diese Krise bietet auch eine Chance.

Wie meinen Sie das?

Lütz: Unser Dorf ist tatsächlich glücklicher, seit wir Flüchtlinge haben. Wir haben mehr ehrenamtliche Helfer als Flüchtlinge und manch einer, der sonst nur für sich alleine gelebt hat, erlebt es als unglaublich bereichernd, Menschen in Not zu helfen. Das macht glücklich. Glück ist kein Ego-Trip. Der Mensch ist ein soziales Wesen, und all die Glücksbücher, die dazu raten, gierig möglichst viele Glücksgefühle zusammenzuraffen, führen in Sackgassen.

Wie sieht das bei Ihnen Zuhause in Merten aus?

Lütz: Man arbeitet zusammen, um den Flüchtlingen zu helfen, es gibt Paten, die sich um sie kümmern, wildfremde Leute bringen Spielsachen für die Kinder vorbei, man möbelt Fahrräder wieder auf. Andere geben Deutschkurse, helfen bei Behördengängen und begleiten die Menschen zum Arzt. Jeder kann irgendetwas tun. Die Dorfbewohner haben dadurch auch viel mehr miteinander zu tun. Wenn man einem Menschen hilft, der gerade den Folterkellern Assads entkommen ist, dann stellt man sich gar nicht die Frage, ob das Sinn macht und ob man dabei glücklich ist. Das ist einfach sinnvoll und etwas Sinnvolles zu tun, macht glücklich. Im Moment des Glücks ist das Glück kein Thema.

Das heißt also: Helfen macht glücklich. Funktioniert das überall in Deutschland?

Lütz: Klar, das funktioniert sicher überall, wo man das als Chance begreift. Als ein junger Flüchtling hier in die Moschee ging und man da verkündete, die Christen seien böse, da widersprach er: Das stimme nicht, er kenne eine, die sei nett - und ging nie wieder hin. Wenn wir helfen, dann haben auch Salafisten keine Chance. Unvermeidlich glücklich wird man jedenfalls, wenn man einen Sinn im Leben erlebt und wenn man dadurch gewiss ist, dass man selbst in Krisensituationen seines Lebens nicht ins Nichts fällt.

Und wenn alle Stricke reißen, gibt es ja noch die Glücks-Ratgeber.

Lütz: Der ganze Ratgeber-Schrott vermittelt den Leuten den Eindruck, sie seien für ihr eigenes Leben gar nicht mehr kompetent. Mein Buch ist dagegen eine kleine Geschichte der Philosophie des Glücks und beschreibt allgemeinverständlich und unterhaltsam die ganz unterschiedlichen Wege, wie die gescheitesten Menschen der Welt zum Glück gefunden haben. Da kann dann jeder selbst entscheiden, was zu ihm passt. Glücklichsein ist etwas sehr Persönliches.

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