„Jeder kämpft für sich allein auf deutschen Straßen“

Das Miteinander im Straßenverkehr hat nach Ansicht des Präsidenten der Deutschen Verkehrswacht, Kurt Bodewig, erheblich gelitten. Außerdem habe das Verständnis für Regeln nachgelassen. Der frühere SPD-Verkehrsminister fordert daher im Gespräch mit SZ-Korrespondent Hagen Strauß höhere Bußgelder bei Rotlichtverstößen. Eltern müssten wieder mehr Vorbild sein. Die Verkehrswacht gibt es seit 1924, sie will die Sicherheit auf deutschen Straßen verbessern.

Herr Bodewig, das Miteinander im Straßenverkehr wird immer rauer. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Bodewig: Das Tempo der Gesellschaft insgesamt hat zugenommen, also auch im Straßenverkehr. Wir stellen fest, dass zugleich die gegenseitige Rücksichtnahme nachgelassen hat. Ebenso verblasst das Verständnis dafür, sich an Regeln halten zu müssen. Das sind die Punkte, die derzeit das Verkehrsklima in Deutschland bestimmen.

Ist der Straßenverkehr zu einer Kampfzone geworden?

Bodewig: Das würde ich nicht sagen, denn das setzt ja definierte Gegner voraus. Es ist eher so, dass jeder Verkehrsteilnehmer seine Form der Mobilität als die vordinglichste ansieht. Das ist schlecht für das Miteinander.

Welche Rolle spielt dabei das Mobilitätsverhalten?

Bodewig: Eine große. Es hat sich in den letzten zehn Jahren grundlegend verändert. Das Auto ist nicht mehr der Mittelpunkt. Wir haben vor allem in den Städten eine sehr starke Zunahme des Radverkehrs, was zu mehr Mischverkehr führt, während es auf dem Land noch vergleichsweise entspannt zugeht. Aber gerade im Stadtverkehr werden Regeln missachtet, und sie werden sich neu erkämpft. Das wollen wir nicht. Wir wollen Rücksichtnahme und das Erkennen von Gefahren.

Wer kämpft denn wie im Straßenverkehr?

Bodewig: Dazu gibt es interessante Forschungsergebnisse. Grundsätzlich gilt: Bei jeder Mobilitätsform hat das Einhalten der Regeln abgenommen. Jeder kämpft für sich. Die Hälfte der Fußgänger hält sich zum Beispiel nicht mehr an das Rotlicht. Bei den Radfahrern sieht es ähnlich aus, und bei den Autofahrern sind laut einer repräsentativen Umfrage 78 Prozent trotz Rot gelegentlich schon einmal weitergefahren. Wenn man sieht, dass nur sieben Prozent dieser Autofahrer erwischt wurden, weiß man, wie es um die Kontrolldichte in Deutschland steht.

Sind Kontrollen das Mittel, um wieder für mehr Rücksicht auf der Straße zu sorgen?

Bodewig: Nicht nur. Als Deutsche Verkehrswacht sagen wir auch: Die Botschaften müssen klarer sein. Dann erreichen wir wieder mehr Verkehrssicherheit. Wir sind zum Beispiel für den Grundsatz: Kein Alkohol am Steuer. Klarer kann die Botschaft an Autofahrer nicht sein. Wir benötigen Vorgaben, die für jeden verständlich sind, die sich aus sich selbst heraus erklären. Tempo 30 in Wohngebieten zum Regelfall zu machen, versteht jeder. Dann müssen nur noch die schnelleren Straßen ausgeschildert werden. Im Moment ist das genau umgekehrt.

Oft wird auch nach höheren Bußgeldern gerufen. Was halten Sie davon?

Bodewig: Bestimmte Lernprozesse setzen erst ein, wenn es ans eigene Portemonnaie geht. Bei Rotlichtverletzungen brauchen wir dringend höhere Bußgelder . Der Rotlichtverstoß ist der Beginn, Regeln im Straßenverkehr zu ignorieren. Bußgelder müssen spürbar sein, damit sie Wirkung erzielen. Vor allem im Wiederholungsfall sollte es teuer sein.

Wie wollen Sie die Sicherheit von Radfahrern verbessern?

Bodewig: Wir sind dafür, dass Helme im Alltag genutzt werden. Die Folgen von Unfällen werden deutlich minimiert. Wenn wir es nicht schaffen, freiwillig dafür ein größeres Bewusstsein zu erreichen, müssen wir auch über eine Helmpflicht diskutieren. Ich weiß allerdings, wie umstritten das ist.

Was erwarten Sie von Fußgängern?

Bodewig: Viele Fußgänger müssen sich auf ihre Vorbildfunktion besinnen. Wenn Eltern mit Kindern bei Rot über die Ampel gehen, dann ist das nicht nur gefährlich, sondern auch die Erziehung zum Regelverstoß.

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