Der Mann, dem die Soldaten vertrauen

Vergiss nicht, dass deine Seele Flügel hat" - ein Spruch, der schnell ins Auge fällt an der Wand hinter dem Schreibtisch in einem schlauchartigen Raum, der wenig Wärme oder gar Behaglichkeit ausstrahlt.

 Seit zweieinhalb Jahren ist Roland Motsch in Saarlouis tätig. Er ist auch für Merzig, Lebach und Zweibrücken zuständig. Foto: rolf Ruppenthal

Seit zweieinhalb Jahren ist Roland Motsch in Saarlouis tätig. Er ist auch für Merzig, Lebach und Zweibrücken zuständig. Foto: rolf Ruppenthal

Foto: rolf Ruppenthal

Und dessen Mobiliar auf pure Zweckmäßigkeit getrimmt ist. Wüsste man es nicht besser, käme man wohl kaum auf die Idee, dass in diesen vier Wänden - um im Bild zu bleiben - gebrochene, angeschlagene Seelen-Flügel wieder gerichtet, verbunden, kuriert werden.

Eine bequeme Couch, wie sie sich der Laie gemeinhin in einer Psychologen-Praxis vorstellt, sucht man hier vergebens. Ein längliches Sitzmöbel aus hellem Holz ähnelt in seiner Form eher einer mit fliederfarbenem Stoff bezogenen Kirchenbank. Ein niedriger heller Holztisch, zwei in die Jahre gekommene schwarze Ledersessel mit Stahllehnen, ein heller Einbauschrank, ein Waschbecken - und Boxen mit Papiertaschentüchern.

Es ist die Wirkungsstätte des Truppenpsychologen Roland Motsch in der Saarlouiser Kaserne. Er selbst scheint mit einer Persönlichkeit ausgestattet, die ganz im Kontrast zu diesem Umfeld steht. Ein aufgeschlossener Typ, der Verbindlichkeit und Vertrauen ausstrahlt. Mehr Kumpel, mehr Kamerad als vergeistigter Seelenklempner. Und so wie er auf andere wirkt, sieht er offensichtlich auch sich selbst: "Ich bin nicht abgehoben oder gar verstrahlt. Ich werfe auch nicht mit Wattebäuschen." Seit zweieinhalb Jahren ist der studierte Psychologe bei der Truppe - zuständig auch für Merzig, Lebach und Zweibrücken, und daher häufig unterwegs. Unterwegs ist Motsch allerdings auch als Wanderer zwischen den Welten: Er ist als Zivilist tätig - und hat gleichzeitig den Rang eines Oberstleutnants.

Der 55 Jahre alte Saarländer diente vor seinem Studium rund vier Jahre bei der Bundeswehr , kennt das Metier also von der Pike auf. "Das Besondere an der Truppenpsychologie ist", so sagt er, "dass man die Menschen gleich vor Ort hat. Ich lebe bei den Soldaten, esse mit ihnen, kenne die Chefs. Ich gehöre eben zu diesem Mikrokosmos." Als Zivilist habe er den Vorteil, dass diejenigen, die zu ihm kommen, mit ihm "ganz anders reden", als es in der Bundeswehr-Hierarchie üblich sei. Gleichzeitig teile er viele Erfahrungen mit der Truppe: "Ich gehe mit raus, begleite die Soldaten, mache beim Schießen mit und nehme sogar an Wehrübungen teil."

Im vergangenen Jahr beteiligte er sich auch an einem Auslandseinsatz im Kosovo . All das stählt Glaubwürdigkeit und Urteilsvermögen. Und das bedeutet für den Psychologen freilich auch zu durchschauen, wenn er für persönliche "Ausweichmanöver" benutzt wird - etwa für Versetzungswünsche. Dabei nimmt Motsch derlei Anliegen von Soldaten durchaus ernst, etwa wenn der Familienzusammenhalt ernsthaft gefährdet ist. "In Fällen wie diesen setze ich mich für eine Versetzung ein."

Nicht immer ist es gleich ein "Trauma", mit dem er es zu tun hat: "Völlig überstrapaziert" sei der Begriff, was ihm manchmal "Pickel" bereite. Wohl aber ist er auch mit posttraumatischen Belastungen von Soldaten vertraut, die aus Kriegseinsätzen kommen. Denn Motsch ist mit zuständig für Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung solcher Einsätze. Und der 55-Jährige weiß: Mit Stress, Verwundung, Tod - und gerade auch mit dem Thema Testament möchten sich die meisten Soldaten nicht auseinandersetzen. "Man will das gar nicht hören, man denkt, das trifft einen nicht. Das ging mir persönlich vor meinem Einsatz im Kosovo nicht anders." Gerade beim Thema Tod, so bekennt er, sei er "froh, dass den Soldaten zusätzlich auch kirchliche Seelsorger bei der Bundeswehr zur Seite stehen."

Schwere posttraumatische Belastungsstörungen nach Einsätzen werden indes von ihm nicht selbst behandelt, sondern weiterverwiesen, etwa an klinische Psychologen. "Ich bin vor allem in beratender Funktion tätig", erklärt Motsch. Nicht zuletzt ist er zuständig für menschliche Probleme innerhalb der Truppe.

Gerade jetzt war seine Beratung im bayerischen Sonthofen gefragt, wo eine Einsatz-Nachbereitung für die ersten zehn Soldaten stattfand, die von einer Peschmerga-Ausbildung im kurdisch-irakischen Erbil zurückgekommen waren.

Dass Soldaten oft völlig verändert aus Einsätzen heimkehren, ist keine Seltenheit. "Vier Monate Afghanistan arbeiten eine Persönlichkeit raus - da kann man sich nicht verstecken", sagt Motsch. Ein Leben mit der Schwere der Bilder zu führen, muss nicht selten mühsam erlernt werden. Aber eine psychische Heilung ist durchaus möglich, sagt der Psychologe, auch wenn Soldaten das Ereignis selbst wohl nie vergessen werden. Wie etwa einer, der in Afghanistan eine Lastwagenplane der Taliban anlupfte und darunter eine menschliche Hand erblickte. Das Bild wird ihn wohl lebenslang begleiten, die seelische Belastung kann er mit der Zeit überwinden. "Nicht immer muss es etwas extrem Schreckliches sein, was posttraumatische Belastungen auslöst", erklärt Motsch. Manchmal reiche es schon, etwas sehen oder erleben zu müssen, auf das man keinen Einfluss habe: Ereignisse etwa, die gegen den Gerechtigkeitssinn, gegen das eigene Wertesystem verstoßen.

Doch längst nicht alle haben in den Auslandseinsätzen desaströse Erfahrungen gemacht, sagt der Truppenpsychologe. Viele kämen sogar gestärkt zurück: etwa durch das Erleben von Kameradschaft weit weg von der Verwaltung und das Gefühl, durch ihren Einsatz zu helfen. "Es gibt sogar mehr, die noch einmal hingehen würden, als solche, die es nie wieder tun würden", sagt Motsch.

Wie steht es aber am Ende mit ihm selbst? Hat auch er gelegentlich Beratungsbedarf? Zumindest gibt ein sogenanntes Psychosoziales Netzwerk, eine feste Institution auch am Standort Saarlouis, Gelegenheit zum interdisziplinären Austausch: Psychologen, evangelische und katholische Pfarrer, Sozialarbeiter und -berater, Ärzte der Bundeswehr kommen in regelmäßigen Abständen zur Beratung von Fällen zusammen.

Unterstützt wird Motsch auch durch eine sogenannte Peer-Gruppe: Durch Soldaten, die freiwillig die Funktion von "psychologischen Ersthelfern" übernehmen und sogar in Lehrgängen dafür ausgebildet werden. "Die pflege ich sehr, die bekommen von mir auch Kuchen gebacken", meint Motsch schmunzelnd. Die Helfer unterhalten Kontakte in alle Winkel der Kompanien und können so gelegentlich die Vermittlung zum Psychologen übernehmen. "Denn wer hier sitzt", sagt Motsch, "der hat schon ein Drittel seiner Probleme gelöst."

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