Rückkehr der Wölfe – erhofft und gefürchtet

Bubach · Seit über 100 Jahren gibt es im Saarland keine frei lebenden Wölfe. Mit ihrer Rückkehr rechnen Experten jedoch seit Längerem. Jetzt könnte es soweit sein. Die Aussicht löst bei den einen Freude, bei den anderen Angst aus.

 Idyllisch sieht es aus, doch auf dieser Wiese in Bubach wurden vor anderthalb Wochen die Schafe der Familie Müller attackiert, womöglich von zwei Wölfen. Vier Schafe wurden getötet. Fotos: Bonenberger & Klos

Idyllisch sieht es aus, doch auf dieser Wiese in Bubach wurden vor anderthalb Wochen die Schafe der Familie Müller attackiert, womöglich von zwei Wölfen. Vier Schafe wurden getötet. Fotos: Bonenberger & Klos

Im strömenden Regen steigt Heike Müller den Hang hinauf. Über die von violetten Blumen getupfte Wiese. Vorbei an Apfelbäumen, deren Äste schwer von Früchten zu Boden gezogen werden. Hin zu der Weide, auf der ihre Schafe stehen. Die Tiere reagieren nervös. Sie laufen weg, sobald sich jemand ihnen nähert. Drängen sich in einer Ecke der Umzäunung zusammen. "Ist gut, ist gut", sagt Müller und hebt beschwichtigend die Hand. Doch es hilft nichts. Die Schafe beruhigen sich nicht. "So sind sie, seit es passiert ist. Sie haben Angst."

Vor anderthalb Wochen fanden Heike Müller und ihr Mann Bernd die Weide am Rand von Bubach bei St. Wendel morgens leer vor. Die Umzäunung umgerissen, von den sieben Dorperschafen keine Spur. "Wir haben stundenlang gesucht. Mein Mann mit dem Traktor, ich mit dem Auto." Am Ende fanden die beiden die Tiere, vier von ihnen waren tot. Getötet durch einen Biss in die Kehle, das Fleisch zum Teil von den Läufen gerissen. Die ersten Untersuchungen deuteten darauf hin, dass zwei Wölfe die Schafe angegriffen haben. DNA-Proben, die das Umweltministerium an ein Institut in Hessen geschickt hat, sollen bald Gewissheit bringen.

Ist der Wolf nach mehr als 100 Jahren zurück im Saarland? Ist er durch die Wälder um den Ort im idyllischen Ostertal gestreift? Ist er noch da oder nur durchgezogen? Förster Thomas Müller glaubt nicht, dass sich Wölfe dauerhaft im Saarland niederlassen würden. Obwohl 30 Prozent des kleinsten Flächenbundeslandes bewaldet seien, biete es kein ideales Revier für die Tiere. "Das Saarland ist sehr dicht besiedelt, und es gibt viele Straßen", sagt Müller. "Außerdem sind die meisten Wälder eher kleine Parzellen."

Die Müllers, die rund 35 Schafe und 25 Ziegen haben, gehen jetzt dennoch jeden Morgen mit einem mulmigen Gefühl zu ihrer Weide. Auch andere Schafhalter im Saarland sind beunruhigt. "Manche reagieren sehr hektisch und nervös", sagt Anton Schmitt, Geschäftsführer des Landesverbandes der Schaf- und Ziegenzüchter. Sollten wirklich Wölfe die Schafe in Bubach gerissen haben, sieht der Verband vor allem Probleme dabei, Nutztiere zu schützen. Die speziellen Schutzzäune, die höher sind als gewöhnliche Weidezäune und zudem einen Unterwühlschutz haben, seien derzeit nicht lieferbar. Ein Schutzhund für die Herde? "Das ist nicht so einfach", sagt der Landesvorsitzende Manfred Brill. Nicht nur seien die Tiere teuer, es könne auch sein, dass sie aggressiv gegen Wanderer oder Spaziergänger mit Hunden werden.

Die Schäfer verweisen zudem darauf, dass staatliche Entschädigungszahlungen für gerissene Tiere nur eine Kann-Leistung seien und laut Wolfsmanagement-Plan des Umweltministeriums nur während der Zuzugsphase der Wölfe erfolgen sollen. Sie fürchten, die Rückkehr des Wolfes "ausbaden" zu müssen, "weil wir nur so wenige sind". Die Schaf- und Ziegenhalter warten also mit Bangen auf die Untersuchungsergebnisse und hoffen, dass keine Wölfe die Tiere der Müllers getötet haben, sondern streunende Hunde.

Andere im Dorf reagieren eher gelassen auf die Nachricht, dass Isegrim womöglich wieder im Saarland ist. "Vor ein paar Tagen erst habe ich hier einen Fuchs vorbeilaufen sehen", sagt Milli Zimmer. Die 86-Jährige steht am Fenster ihres Hauses und deutet auf die Straße, auf der das Tier durch das Wohngebiet streifte. In einem offenen Schuppen auf Zimmers Grundstück trifft sich die Nachbarschaft regelmäßig zum Kaffeeklatsch. Die Wölfe seien dabei kein großes Thema gewesen.

"Geredet wird schon viel", sagt hingegen Claudia Vogel, die gerade ihre Tochter an der Bushaltestelle abgeholt hat. "Irgendwas ist ja da draußen." Mehrere Leute im Ort hätten schon große Tiere beobachtet. "Die meisten glauben aber, dass es eher Hunde sind." Bedenken, ihre Kinder draußen spielen zu lassen, hat Vogel nicht. "Aber meiner älteren Tochter, die mit dem Hund auch gern in den Wald geht, habe ich schon gesagt, dass sie in der Nähe bleiben soll."

Ortsvorsteherin Thea Edinger war letzte Woche noch im Urlaub in den USA. "Wir haben den Yellowstone-Nationalpark besucht. Dort leben Wölfe und wir hatten gehofft, sie zu sehen", erzählt sie. Aber Fehlanzeige. Bei der Rückkehr dann die große Überraschung. "Als die Leute mir erzählten, in Bubach könnten Wölfe gewesen sein, dachte ich, die veräppeln mich." Edinger würde sich freuen, wenn der Wolf zurück ins Saarland käme, auch wenn sie die Beunruhigung mancher Menschen verstehen kann. "Es ist eine Urangst. Im Märchen ist der Wolf immer der Böse."

So mancher in der Gegend sieht aber auch touristisches Potenzial in der möglichen Rückkehr der Wölfe - und hat bereits gehandelt. Gegenüber der Waldhütte der Naturfreunde Ostertal hat jemand in den letzten Tagen ein Holzschild an einen Baum gehängt. Ein roter Pfeil weist den Weg zum "Wolfs-Blick". Daneben ist ein heulender Wolf abgebildet. Wer dem von Wurzeln überzogenen Pfad zwischen den Bäumen hindurch folgt, gelangt am Ende auf eine Wiese. Eine Bank lädt zum Verweilen ein - wenn es nicht gerade in Strömen regnet. Den Hang hinab breitet sich saftig grünes Gras aus. Unten am Dorfrand liegen die Weiden, auf denen auch die Schafe und Ziegen der Müllers stehen. "Es ist wunderschön hier", schwärmt Ortsvorsteherin Edinger, während sie am Waldrand unter den tropfenden Bäumen steht und auf Bubach hinabblickt. Es liegt idyllisch eingebettet in ein Tal, umgeben von Laubwäldern. Die Häuser schmiegen sich an die Hügel. Über den Baumwipfeln wabert an diesem nasskalten Vormittag der Nebel. "Wäre es nicht passend, wenn hier Wölfe leben würden?"

 Schnell reagiert: Wenige Tage nach dem Vorfall auf der Weide hing dieses Schild im Wald oberhalb von Bubach.

Schnell reagiert: Wenige Tage nach dem Vorfall auf der Weide hing dieses Schild im Wald oberhalb von Bubach.

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HintergrundSchon seit Monaten rechnen Experten mit der Rückkehr der Wölfe ins Saarland. Vor mehr als 100 Jahren wurden sie hierzulande ausgerottet. Zuletzt waren jedoch in den Vogesen und auch in Rheinland-Pfalz Wölfe gesichtet worden. Vor dem Vorfall in Bubach bei St. Wendel, wo vier Schafe gerissen wurden, war auch in der Nähe von Wadern ein totes Schaf gefunden worden. Bundesweit siedeln sich die Wölfe seit dem Fall der Mauer nach und nach wieder an. Derzeit leben in Deutschland rund 30 Rudel. Wölfe sind in der Regel gegenüber Menschen sehr scheu. Wer dennoch einem begegne, solle sich langsam zurückziehen und durch Sprechen oder Gestikulieren auf sich aufmerksam machen, heißt es im saarländischen Wolfsmanagement-Plan. In 50 Jahren (1950 bis 2000) sind demnach in Europa neun Wolfsangriffe mit tödlichen Folgen für Menschen dokumentiert. Hunde sollten im Wald an der Leine geführt werden, raten Experten . Sie reagieren instinktiv aggressiv auf Wölfe .Auf dem Speiseplan der Raubtiere stehen vor allem Rehe und Wildschweine. In Menschennähe reißen sie aber auch Schafe oder junge Rinder. mast

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