Belgien unter Schock

Es ist der Tag, an dem Belgien es mit der Angst zu tun bekommt. Vor den jüdischen Schulen in Brüssel und Antwerpen patroullieren schwer bewaffnete Sicherheitskräfte. Die Rue de la Colinne in Verviers bleibt rund um die Wohnung, die die belgische Polizei am späten Donnerstagabend gestürmt und zwei bewaffnete Dschihadisten erschossen hatte, abgesperrt.

Lisa Pops, eine der Anwohnerinnen, war zum Zeitpunkt des Geschehens in einer Apotheke, nahe des Einsatzortes. "Als ich nach Hause kam, hat mir mein Sohn gesagt: Mama, ich dachte, du wärst tot. Meine Kinder haben große Angst gehabt", erzählt die Frau sichtlich bewegt.

Die Schilderungen verängstigter Bürger nehmen am Tag danach kein Ende. Und nicht einmal die Sicherheitsbeamten strahlen Sicherheit aus, seitdem Staatsanwalt Eric Van Der Sypt am Freitagmittag bestätigte: "Die Gruppe wollte Polizisten auf offener Straße oder in Kommissariaten töten." Daraufhin rief die Gewerkschaft Sypol ihre Mitglieder auf, nur noch zu zweit und mit schusssicherer Weste auf Streife zu gehen. Die Dienstwaffe sollten sie mit nach Hause nehmen.

Mehrere Wachen begannen am Freitagmorgen damit, die Fotos ihrer Mitarbeiter von den Internetseiten zu entfernen. Einige Zweigdienststellen wurden ganz geschlossen. In Brüssel fuhren die EU-Institutionen ihre Sicherheitskontrollen hoch. Das Land, in dem nun die zweithöchste Terror-Warnstufe gilt, igelt sich ein.

Noch in der Nacht und nach den tödlichen Schüssen von Verviers nahmen die Fahnder 13 Männer fest, die einer terroristischen Zelle zugeordnet werden. Bei zwölf Wohnungsdurchsuchungen - neben Verviers auch in den Brüsseler Gemeinden Molenbeek und Anderlecht sowie in den Städten Sint-Agatha-Berchem und Liederke - fiel den Beamten ein ganzes Kriegsarsenal in die Hände: vier Kalaschnikows vom Typ AK 47, Pistolen, Sprengstoff, Munition, Sprechfunkgeräte, gefälschte Papiere und Polizeiuniformen. "Der Einsatz diente dazu, eine Terrorzelle und ihr logistisches Netzwerk zu zerschlagen", sagt Staatsanwalt van der Sypt. Innenminister Jan Jambon lobt die "ausgezeichnete Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste". Durch ihre Arbeit seien ein "paar Syrienkämpfer ausgeschaltet" worden. Doch nun fürchtet die belgische Regierung, dass durch die Razzia vom Donnerstagabend weitere "Schläfer" wachgerüttelt wurden.

In Brüssel heißt es, bis zu 650 junge Belgier hätten sich den Milizen des "Islamistischen Staates" (IS) angeschlossen. "Wenn da auch nur einer durchdreht und wir bekommen das nicht mit, müssen wir mit allem rechnen", sagte ein hoher Sicherheitsbeamter in Brüssel .

Das zehn Millionen Einwohner große Benelux-Land gilt unter Terror-Experten seit langem als besonderes Risiko. Doch dass die Bedrohung offenbar so massiv war und ein "Gewaltakt, der die Dimension von Paris noch übersteigen sollte" (ein Polizeisprecher), bevorstand, hat die meisten Belgier selbst überrascht - und getroffen. Dabei waren Anzeichen da. Im Sommer vorigen Jahres ermordete ein Syrien-Heimkehrer im Jüdischen Museum vier Menschen. Parallelen zu den Attentätern von Paris gibt es zwar, ob es auch Verbindungen waren, blieb bisher offen.

Die Brüsseler Föderalregierung erließ am Freitag ein Zwölf-Punkte-Paket, um ihren Kampf gegen den islamistischen Terror zu verstärken. So können die Telefonüberwachungen jetzt ausgeweitet werden. Wer Richtung Syrien oder Irak ausreisen will, muss - wie demnächst auch in Deutschland - mit dem Entzug des Ausweises rechnen. Bis zu 150 Soldaten sollen ab diesem Wochenende öffentliche Plätze und Einrichtungen schützen. Belgien sieht einer beklemmenden Zukunft entgegen.

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