Schottland vor Europas Türen?

Brüssel · Bei einer Abtrennung von London müsste Edinburgh die Aufnahme in EU und Nato neu beantragen. Formal würde Schottlands EU-Bewerbung hinter den Balkanstaaten und der Türkei einsortiert. Bis zum Start würde es Jahre dauern.

So schweigsam erlebt man die Europäische Kommission selten. Wenn es um die Zukunft eines möglicherweise autonomen Schottlands geht, verweist man bis heute auf die jüngste Äußerung von Kommissionschef José Manuel Barroso. Aber selbst die Einschätzung ist sieben Monate alt. Damals war der Portugiese deutlich geworden: Schottland müsste, falls sich die Einwohner heute mit Mehrheit für eine Abtrennung von Großbritannien entscheiden, neu um eine Mitgliedschaft in der EU bewerben. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Nato . Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen machte bereits klar: Eine erneute Bewerbung samt aller jahrelangen Prüfungen stehe in diesem Fall an. "Es gibt weder eine Blaupause noch einen Plan B", sagte vor wenigen Tagen der saarländische SPD-Europa-Abgeordnete Jo Leinen, der an der Abfassung des Lissabonner Vertrages beteiligt war.

Das Grundsatzdokument für die EU kennt zwar ausführliche Bestimmungen für den Beitritt eines Landes, nicht aber für die Abspaltung einer Teil-Republik. Darauf scheint der Führer der schottischen Pro-Bewegung, Alex Salmond, zu setzen. Er kündigte seinen Landsleuten an, nach einer gewonnen Abstimmung 18 Monate lang intensiv mit der EU über eine Mitgliedschaft zu verhandeln, die dann gleichzeitig mit der Unabhängigkeit 2016 beginnen würde. Doch der Mann irrt. Denn Brüssel kann keine Aufnahmegespräche mit Vertretern einer Region führen, die noch kein selbstständiges Land ist. Die Schotten müssten also außerhalb von EU und Nato ihre Autonomie beginnen und dann um Aufnahme bitten.

Rein formal würde ihre Bewerbung hinter die der Balkanstaaten und der Türkei einsortiert - bis zum Start dürfte es Jahre dauern. Eine Ausnahme von dieser Regel gilt in Brüssel bestenfalls als Illusion. Schließlich hat sich der designierte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit Unterstützung des Europäischen Parlamentes dafür ausgesprochen, innerhalb der nächsten fünf Jahre keine Erweiterung zulassen zu wollen. Selbst die Hoffnung Almonds auf eine zügige Aufnahme auf dem kleinen Dienstweg über eine Entscheidung im Rat der Staats- und Regierungschefs erscheint schwach. Abgesehen davon, dass es diesen Weg laut EU-Vertrag gar nicht gibt, müssten alle Mitgliedstaaten zustimmen. Ob London das täte, sei dahingestellt. Ganz sicher aber würden die Schotten an Spanien und Belgien scheitern. Denn in beiden Ländern warten separatistische Landesteile nur darauf, dem schottischen Vorbild zu folgen.

Auch alle weiteren Ausnahmen, die die Briten im Laufe der Jahre herausschlagen konnten, würden für die Regierung in Edinburgh nicht gelten. Das betrifft vor allem den jährlichen Briten-Rabatt bei den Beitragszahlungen. Schottland müsste also deutlich höhere Zahlungen an die Gemeinschaftskasse leisten als bisher.

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