Droht Deutschland ein Frühling ohne Gezwitscher?

Berlin · In Deutschland nimmt laut Bundesregierung die Zahl der Brutvögelarten dramatisch ab. 16 seien bereits verschwunden. Naturschützer appellieren an die Regierung, mehr gegen das „Vogelsterben“ zu machen.

Es gibt Vogelarten, die kennt fast jeder. Zumindest vom Namen her. Das Rebhuhn zum Beispiel. Oder den Kiebitz. Vögel , die in Deutschland heimisch sind. Inzwischen stellt sich jedoch die Frage, wie lange man diese Tiere hierzulande überhaupt noch beobachten kann.

Der Bestand von Rebhühnern, Kiebitzen oder Feldlerchen ist in den letzten Jahren dramatisch gesunken, zum Teil um mehr als 80 Prozent; die Moorente, die Uferschnepfe oder das Braunkehlchen sieht und hört man ebenfalls immer seltener. Insgesamt, so die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen zur "Situation der Vögel in Deutschland", nimmt die Zahl der gefährdeten Brutvögelarten weiter zu. Zwar gibt es noch rund 260 von ihnen. Aber 16 sind laut Regierung seit den 1960er Jahren bereits als "ausgestorben oder verschollen" gemeldet - zum Beispiel das Zwergsumpfhuhn, der Schlangenadler oder die Blauracke. Für sie hat es sich ausgezwitschert. 30 auf der roten Liste gelten als vom Aussterben bedroht, darunter verschiedene Schwalbenarten. 24 weitere sind "stark gefährdet" - das trifft auch auf einige Specht-Gattungen zu. Und als "gefährdet" sind in der Aufstellung 14 Brutvogelarten verzeichnet.

Von einem "Rückgang der Artenvielfalt" spricht die Regierung in dem unserer Zeitung vorliegenden Papier. Insbesondere auf dem Land. Denn dort, wo Vögel brüten, auf Äckern, Wiesen und Weiden, zerstört die intensive Landwirtschaft mit ihren großen Gerätschaften und dem Einsatz von Düngemitteln die Brut- und Lebensräume. Der Bestand werde im Agrarland weiter sinken, warnt die Regierung. Wenn auch regional unterschiedlich.

Startet der Frühling also irgendwann mal ohne großes Vogelpiepen? Dieses düstere Szenario ist für die Grünen durchaus vorstellbar. Schon jetzt werde der Frühling "immer leiser", sagt die Grüne Naturschutzexpertin Steffi Lemke . "Denn 25 Prozent unserer einheimischen Vögel sind gefährdet oder vom Aussterben bedroht." Für die Grünen ist klar, dass die Bundesregierung ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht wird. Mit der 2007 verabschiedeten "Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt" habe sie sich schließlich verpflichtet, dem Artensterben in Deutschland Einhalt zu gebieten. Stattdessen seien die aktuellen Zahlen "erschreckend", so Lemke. Es müsse endlich Schluss sein "mit dem massiven Gifteinsatz auf den Feldern und der industriellen Ausbeutung der Natur". Manch ein Fachmann geht noch weiter: So spricht der Vogelexperte des Naturschutzbundes (abu), Lars Lachmann, sogar von einem "Vogelsterben" in Deutschland. Die Entwicklung vieler Bestände sei bedenklich, verbessert habe sich in den letzten Jahren wenig bis nichts, so Lachmann auf Anfrage. Außerdem gebe es inzwischen einen hohen "Individuenverlust". Soll heißen, bei häufig vorkommenden Arten wie dem Rebhuhn habe sich auch die Zahl der Vögel deutlich reduziert.

Gleichwohl gibt es einen Unterschied zwischen Stadt und Land. Obwohl die typischen Stadt-Vögel, die an Gebäuden brüten wie Mauersegler oder Mehlschwalben, weniger werden, "nimmt die Vogelvielfalt in den Siedlungsräumen eher zu", weiß Lachmann. Beispielsweise ziehe es viele Waldvögel in die Städte, "weil die Zahl der Grünflächen dort ansteigt und sie ein bisschen wie Naturschutzgebiete fungieren". Ein Frühling ohne Gezwitscher - in den Städten also eher nicht.

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