Karlsruhe geht den Erben ans Geld

Berlin · Weil die Privilegien von Unternehmen bei der Erbschaftsteuer unverhältnismäßig seien, nimmt das Bundesverfassungsgericht die Politik in die Pflicht. Die muss korrigieren, ohne kleinere Betriebe zu benachteiligen.

Peer Steinbrück (SPD ), der 2009 als Finanzminister verantwortlich war für die Erbschaftsteuerreform, tauchte ab. Andere seien jetzt weit befugter, über die Konsequenzen des Karlsruher Urteils zu reden, ließ er ausrichten. Aus gutem Grund: Das Verfassungsgericht erteilte den von ihm und der damaligen großen Koalition eingeführten großzügigen Steuerbefreiungen für Unternehmenserben gestern eine regelrechte Ohrfeige. Und zwar viel härter als im Vorfeld erwartet worden war.

Das Urteil fiel einstimmig. Das Gericht stellte die Ungerechtigkeiten gegenüber normalen Erbschaftsteuerpflichtigen in den Mittelpunkt. Die zahlen den Großteil des jährlichen Aufkommens von 4,7 Milliarden Euro, während Firmen ihre legalen Befreiungsmöglichkeiten und die vielen Schlupflöcher umfassend nutzen. Laut einer Auswertung des Finanzministeriums wurden seit 2009 über 105 Milliarden Euro an Betriebsvermögen steuerfrei übertragen.

Die Regelung, dass Kleinbetriebe generell von der Besteuerung ausgenommen sind, wenn sie von den Erben fortgeführt werden, sei zwar statthaft, fanden die Verfassungsrichter. Der Staat dürfe das Ziel verfolgen, Arbeitsplätze zu sichern. Nicht richtig sei aber, dass bei weniger als 20 Beschäftigten gar nicht mehr geprüft wird, ob die Lohnsumme mindestens fünf Jahre lang auch tatsächlich gehalten wird. Und bei größeren Firmen sei eine solche generelle Privilegierung "mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung nicht mehr in Einklang zu bringen". Auch die Bestimmung, bis zu 50 Prozent des Verwaltungsvermögens einer Firma erbschaftsteuerfrei zu stellen, sei mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes nicht vereinbar. Die Regelung hatte dazu geführt, dass auch Bestandteile des Privatvermögens, etwa teure Bilder, an Unternehmen übertragen worden waren, um die Steuer zu umgehen.

Das Gericht machte seinen Unmut über diese und andere Großzügigkeiten deutlich, gab aber dem Gesetzgeber bis Juni 2016 Zeit zur Korrektur. Bis dahin gilt die alte Rechtslage. Drei der acht Richter gaben ein abweichendes Votum ab, aber nur, um die Begründung noch zu verschärfen: Die bestehende Regelung widerspreche nicht nur dem Gleichheitsgrundsatz, sondern auch dem Sozialstaatsprinzip, fanden sie. Die Vermögenskluft werde dadurch verschärft.

Vor allem die SPD dürfte jetzt besonders unter Spannung geraten - und mit ihr die ganze Koalition. SPD-Chef Sigmar Gabriel , der sich neuerdings betont wirtschaftsfreundlich gibt, forderte, eine Neuordnung dürfe auf keinen Fall eine "höhere Besteuerung der betrieblichen Vermögen der Familienunternehmen und der Mittelständler" bewirken. Die Parteilinke hingegen will weniger Ausnahmen und schlägt vor, dass Firmenerben ihre Steuerschuld auch durch eine Übertragung von Anteilen an eine Staatsholding zahlen können sollen. Die Grünen fanden, dass Arbeitsplätze im Erbfall durch Freibeträge und Stundungsregelungen geschützt werden könnten. Zudem müsse die gesamte Leistungsfähigkeit der Erben stärker berücksichtigt werden. "Der Ball liegt nun bei der großen Koalition, sie muss das richtige Maß finden", erklärte Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae . Die Union sperrt sich bisher allerdings massiv gegen jegliche Verschärfungen. Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU ) erklärte, die Wirtschaft dürfe "nicht kaputtgemacht" werden.

Der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach warnte die Koalition vor einem "steuerpolitischen Gezerre" und forderte: "Es muss auch für die Familienunternehmen das Versprechen gelten: keine Steuererhöhungen." Der Präsident des Bundesverbandes der Industrie (BDI ), Ulrich Grillo, erinnerte an das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, den Familienunternehmen weiterhin einen erleichterten Generationswechsel zu ermöglichen. Grillo warnte vor Arbeitsplatzverlusten: 40 Prozent der Unternehmen planten bis 2019 einen Generationswechsel. Mehr Steuergerechtigkeit könnte theoretisch auch dadurch hergestellt werden, dass die Erbschaftsteuer ganz abgeschafft wird. Das schlug etwa der Chef des wirtschaftsnahen Instituts der Wirtschaft, Michael Hüther , vor. Das fordert auch die FDP . Schließlich sei das Geld, das beim Vererben versteuert wird, bereits versteuert worden. Allerdings brauchen die Bundesländer, denen die Erbschaftsteuer zufließt, diese Einnahmen.

Politik und Wirtschaft im Saarland haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer mehrheitlich begrüßt. "Die heutige Entscheidung ist richtig", sagte Finanzminister Stephan Toscani (CDU ). "Die bestehenden Regelungen haben zu erheblichen Ungleichbehandlungen und einer wachsenden Zahl von Fällen geführt, bei denen im Falle von Betriebsnachfolgen überhaupt keine Steuern mehr gezahlt wurden. Das war nicht länger hinnehmbar." Laut Ministerium nahm das Saarland bis November 42 Millionen Euro über die Erbschaftsteuer ein. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken, Heinz Bierbaum, sagte: "Die Privilegierung betrieblichen Vermögens auch größerer Unternehmen ist unverhältnismäßig. Sie entlastet die Multimillionäre am stärksten und erhöht so die Vermögensungleichheit in Deutschland." Auch SPD-Generalsekretärin Petra Berg begrüßte das Urteil: "Starke Schultern müssen mehr tragen, als schwache."

Die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes (IHK) sieht die Praxis, kleinere Unternehmen bei der Erbschaftsteuer zu schonen, durch das Urteil bestätigt. "Das ist für unsere zahlreichen inhabergeführten kleineren und mittleren Unternehmen existentiell", sagte IHK-Geschäftsführer Volker Giersch . Ähnlich denkt Joachim Malter, Geschäftsführer der Saarländischen Unternehmensverbände: "Der Grundsatz gilt zu Recht vor allem für kleine und mittlere Unternehmen." Und der bleibe auch bestehen.

Laut IHK stehen in den kommenden fünf Jahren 1600 Unternehmen vor der Übergabe, die Handwerkskammer (HWK)geht sogar von 2000 Übergaben aus. Sie begrüßt, dass das Urteil nicht zu Lasten kleinerer Unternehmen gehe. Bei den anstehenden Korrekturen sei aber "Augenmaß" gefordert: "Betriebsübergaben - gerade in kleinen und mittleren Familienunternehmen - dürfen nicht durch aufwändige Bürokratie, zum Beispiel aufwändige Nachweispflichten, gefährdet werden", sagte Hauptgeschäftsführer Georg Brenner. Wolfgang Herges , Vorsitzender des Verbands der Familienunternehmer, warnte davor, größere Unternehmen zu belasten: "Hier muss die Bundesregierung sehr sorgfältig prüfen, dass eigenkapitalstarke Unternehmen nicht dafür bestraft werden, solide und nachhaltig zu wirtschaften."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort