Zunehmend wachsam

Berlin · Auch im Saarland haben Juden Angst vor antisemitischen Übergriffen, sagt Richard Bermann, Vorsitzender der Synagogengemeinde Saar. Über Auswanderungen und Lösungsansätze sprach er mit SZ-Redaktionsmitglied Jennifer Back.

Zuletzt sind die Terrorwarnungen der ausländischen Geheimdienste immer konkreter geworden. Am Sonntag um Punkt 13.07 Uhr zieht Dieter Kroll die Reißleine. Per E-Mail teilt der Polizeipräsident von Dresden mit, dass in der sächsischen Hauptstadt an diesem Montag alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel verboten sind, von "00:00 Uhr bis 24:00 Uhr". Gut eine Stunde vorher hatte die islamfeindliche Pegida-Bewegung schon auf ihrer Facebook-Seite die Entscheidung zur Absage verbreitet. Die Entscheidung der sächsischen Sicherheitsbehörden hat einen tagelangen Vorlauf. Sie geht auf Warnmeldungen ausländischer Geheimdienste an deutsche Behörden zurück, die sich in den vergangenen Tagen immer stärker konkretisierten.

In der Begründung für das Dresdener Versammlungsverbot wird ziemlich detailliert aufgelistet, welche Erkenntnisse dem Bundeskriminalamt und dem sächsischen Landeskriminalamt vorliegen. Demnach wurden Attentäter dazu aufgerufen, sich unter die Pegida-Demonstranten zu mischen, "um zeitnah einen Mord an einer Einzelperson des Organisationsteams (. . .) zu begehen". Die Morddrohung richtet sich gezielt gegen Pegida-Organisator Lutz Bachmann, einen der prominentesten Vertreter der Bewegung. Der Aufruf ähnele einem über einen Twitter-Account übermittelten Tweet, in dem Pegida auf Arabisch als Feind des Islam bezeichnet würde, heißt es in der Polizei-Begründung weiter. Nicht erst seit den Anschlägen islamistischer Terroristen in Paris rechnen die deutschen Behörden auch mit Anschlägen in Deutschland. Bereits vor einer Woche waren mehrere übereinstimmende Meldungen ausländischer Geheimdienste eingegangen. Darin wurden die Hauptbahnhöfe von Berlin und Dresden als mutmaßliche Anschlagsziele genannt. Für wie wahrscheinlich halten Sie ein Attentat wie das auf den jüdischen Supermarkt in Paris hier bei uns?

Bermann: Ein Attentat kann man nie ganz ausschließen. Kein europäisches Land kann das. Die Gefahr religiös motivierter Angriffe wird in Europa immer größer, auch wenn die Regierungen diese trotz der jüngsten Attentate immer noch herunterreden. Dabei dürften die Geschehnisse in Paris niemanden überraschen. Nicht einmal die auf die jüdische Schule in Toulouse vor zwei Jahren. Antisemitismus in Europa gibt es seit Jahrhunderten und es wird ihn immer geben, nur kommt heute der islamische Antisemitismus dazu, das ist neu.

Herrscht auch im Saarland Angst vor Übergriffen auf die jüdische Gemeinde?

Bermann: Ja, natürlich. Der Antisemitismus ist mitten in unserer Gesellschaft angekommen. Und das nicht erst seit dem Anschlag vor wenigen Tagen. Wir bekommen immer dann, wenn im Nahen Osten Konflikte ausbrechen, Drohungen über Telefon und Briefe, wie zum Beispiel, dass wir auf unsere Kinder aufpassen sollen. Viele jüdische Eltern haben daher Angst um ihre Kinder. Das Naheliegende ist dann, über eine Auswanderung nachzudenken. Ich bin überzeugt, dass sich die Zahl der jüdischen Emigranten vor allem aus Frankreich im Jahr 2015 vervielfachen wird.

Gibt es auch hier Tendenzen, aus Angst auszuwandern?

Bermann: Es gibt seit zwei Jahren vereinzelt Auswanderungen jüdischer Menschen nach Israel oder in andere Länder. Das kann aber auch familiäre Gründe haben. Mehr Auswanderungen wird es aber geben, wenn sich die Verhältnisse in Europa stärker radikalisieren. Viele Juden haben lange Zeit geglaubt, wir könnten nach der Schoa wieder ein sicheres Leben führen, aber das scheint sich so nicht zu bewahrheiten.

Können solche Geschehnisse wie in Paris verhindert werden?

Bermann: Nur wenn man das Problem an der Wurzel packt. Da appelliere ich auch an die Muslime : Duckt euch nicht weg wie bei der Beschneidungsdebatte 2012 und bekämpft den Islamismus in den eigenen Reihen. Viele muslimische Jugendliche haben einen niedrigen Bildungsstand, keinen Schulabschluss und keinerlei Ausbildung, dementsprechend auch keine Zukunftsperspektive. Das macht sie empfänglich für radikale Botschaften seitens der Hassprediger und Salafisten. Darin liegt eine große Gefahr, der dringend zu begegnen ist. Mit dem von der Landesregierung geplanten Islam-Unterricht an Grundschulen allein wird dies aber nicht getan sein.

Meinung:

Niederlage für unsere Werte

Von SZ-KorrespondentWerner Kolhoff

Für die Pegida-Leute gilt das gleiche wie für Charlie Hebdo und seine Mohammed-Karikaturen: Man muss sie nicht mögen, aber man muss alles dafür geben, dass sie frei handeln dürfen. Deswegen ist die erzwungene Absage der heutigen Dresdener Demonstrationen eine schwere Niederlage für unsere Werte. Die Terroristen haben mit ihren Untaten bereits einen großen Reisighaufen von Hass und Misstrauen aufgeschichtet, auch in Europa. Aber die Pegida-Organisatoren sorgen mit ihrer Fremdenfeindlichkeit dafür, dass dieser Haufen auch trocken bleibt. Fehlt nur noch ein Funke, dann dreht sich die Spi rale der Gewalt. Man muss hoffen, dass die Täter bald ermittelt werden, die Pegida bedrohen, damit die Umzüge wieder sicher stattfinden können. Aber man muss auch hoffen, dass immer weniger Bürger dorthingehen. Denn in der Konfrontation der Kulturen liegt nichts Gutes. Für nieman den.

Zum Thema:

Am RandeGroßbritanniens Innenministerin Theresa May hat den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde im Land besseren Schutz vor Terror versprochen. "Wir werden unsere Anstrengungen verdoppeln, um den Antisemitismus auszulöschen", sagte die konservative Politikerin gestern. Die belgischen Behörden suchen mit Hochdruck nach möglichen Hintermännern des vereitelten Anschlags gegen Polizisten. Unter dem Eindruck der Bedrohung wurde ein Zwölf-Punkte-Plan zum Kampf gegen Terrorismus und Radikalismus auf den Weg gebracht. Festnahmen in Griechenland haben sich am Wochenende als Fehlschlag entpuppt. In Athen waren nach einem belgischen Amtshilfeersuchen zwei algerische Staatsbürger festgenommen worden. In griechischen Medien hieß es zunächst, es seien vier Verdächtige, darunter auch der Anführer der in Belgien enttarnten Terrorzelle. Beide Fälle hätten nichts miteinander zu tun, teilte jedoch die Staatsanwaltschaft in Beglien mit. In Paris wurden derweil zwei der drei getöteten Terroristen anonym beigesetzt. Die Behörden wollten damit verhindern, dass die Gräber der Islamisten Pilgerstätten für fanatische Muslime werden. dpa

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