Einer allein gegen alle

Von einem Fehlstart will in Brüssel noch niemand reden. Dass es mit der neuen griechischen Regierung aber ausgerechnet über weitere Sanktionen gegenüber Russland zu Reibereien kommen würde, hat sich keiner gedacht.

Kurz vor dem heutigen Sondertreffen der EU-Außenminister, bei dem die Strafmaßnahmen gegen Moskau verschärft werden sollen, protestierte Athen dagegen, dass man das Schweigen zu einer entsprechenden Information aus Brüssel als Zustimmung interpretiert hatte. Dies ist nun ein durchaus üblicher Vorgang im Miteinander zwischen der EU-Zentrale und den 28 Hauptstädten. "Aber vielleicht war es auch ungeschickt, die neue Regierung in den ersten 24 Stunden nach ihrer Amtsübernahme gleich so mit einem Beschluss zu konfrontieren", hieß es gestern in Brüssel .

Die Nerven liegen tatsächlich blank. Selten hat ein Regierungswechsel die Gemeinschaft so verunsichert. Fast schon nervös tänzeln die Europäer um Alexis Tsipras , den Hoffnungsträger vieler Griechen, herum. Dabei sandte er gestern erste Signale, die durchaus erleichtert zur Kenntnis genommen wurden. "Unsere Priorität ist eine neue Verhandlung mit unseren Partnern." Man wolle eine "gerechte" Lösung, von der "beide Seiten - Geldgeber und Griechenland - profitieren".

Mit einer Forderung stößt Tsipras aber auf Widerstand. "Kein Schuldenschnitt" lautet die Devise vieler Regierungen. In Brüssel deklinieren die Finanzfachleute derweil herunter, warum ein Schuldennachlass auch "gar nichts bringt", wie es der Chef der CDU-Abgeordneten im EU-Parlament, Herbert Reul , formulierte: "Die Rückzahlung der beiden Hilfskredite beginnt erst nach 2020 und kann dann über mehrere Jahrzehnte gestreckt werden. Daran etwas zu ändern, hilft den Griechen jetzt nicht." Diese Meinung sei "verbreitet", sagte Reul.

Er hat Recht: Die Angst vor einem Flächenbrand, den man durch Nachgiebigkeit gegenüber Griechenland in Spanien, Portugal oder Italien auslösen könnte, gehört zwar zu den Urängsten. Genau wie die Furcht, dass der Wahlsieg des linken Syriza-Bündnisses in Athen der Vorbote für einen Durchmarsch der EU-Gegner der iberischen Halbinsel und Großbritanniens sein könnte. Tatsächlich aber macht sich angesichts der griechischen EU-Rebellen bei den übrigen 27 Mitgliedstaaten eine ganz andere Stimmung breit. "Es gibt viele Indizien dafür, dass man mehr zusammenrückt", sagte die Chefin der CSU-Abgeordneten im EU-Parlament, Angelika Niebler. In der deutsch-französischen Zusammenarbeit beobachte sie "auffällig" mehr Übereinstimmungen, die Balten rücken näher an die übrige EU heran. Und selbst die Skandinavier versammeln sich hinter der Bundeskanzlerin. "Das Gerede von einer angeblichen Isolation Merkels in Europa ist völliger Quatsch", erklärte ausgerechnet jemand, der dem linken Lager im Parlament zugerechnet wird.

Dennoch hat Tsipras die Union kalt erwischt. Niemand hatte damit gerechnet, dass der griechische Premier neue Bande mit Moskau knüpfen könnte. "Offenbar versucht er, sich dort das Geld zu holen, das er jetzt braucht", sagte ein EU-Diplomat. Gemeint sind jene Milliarden, die die neue Regierung nicht hat, aber für ihre Wahlversprechen braucht: höhere Renten, höhere Mindestlöhne, Wiedereinstellung der entlassenen Staatsbeamten. Das Moskauer Wohlgefallen könnte sich Tsipras durch Widerstand gegen Sanktionen erkaufen. Zumal der Grieche dabei nicht alleine wäre. Ungarn, Tschechien, die Slowakei, Rumänien, Zypern trugen die Strafmaßnahmen gegen Moskau von Beginn an nur bedingt mit. Nun haben sie eine neue Leitfigur.

Brüssel hat EU-Rebell Tsipras für seinen Antrittsbesuch am 12. Februar schon mal den roten Teppich ausgerollt: Auf ihn warten Zusagen über etliche Milliarden Euro aus dem Investitionspaket der Kommission.

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