Tag der Trauer

Paris · Die Anschlage von Paris haben Frankreich ins Herz getroffen. In Trauer und Schmerz gedenkt das Land der 130 Opfer. Prasident Hollande verspricht, die Terrormiliz IS zu zerstoren. Dabei soll nun offenbar auch ein Geachteter helfen.

Stéphane Albertini, 39 Jahre" - der Name des Restaurantchefs aus Neuilly bei Paris ist der erste, der am Freitag im Ehrenhof des Invalidendoms verlesen wird. 129 weitere folgen, immer mit der Altersangabe dahinter. Elf Minuten dauert die Lektüre aller Opfer der Anschläge vom 13. November und selten ist ein Toter älter als 40. "Diese Männer, diese Frauen waren die Jugend Frankreichs", sagt Präsident François Hollande in seiner Ansprache vor den mehr als 2500 Trauergästen. "130 Namen, 130 zerstörte Leben, 130 dahingeraffte Schicksale, 130 Lachen, die man nicht mehr hört, 130 Stimmen, die für immer schweigen." Und der Präsident macht klar, dass sich die Angriffe nicht nur gegen eine ganze Generation und ihren Lebensstil richteten, sondern auch gegen die Stadt, die ihn verkörpert. "Sie waren in Paris, einer Stadt, die am Tag vibriert und nachts leuchtet."

Und so saßen die jungen Leute am 13. November auf den Terrassen der Cafés und in der Konzerthalle "Bataclan", als der Albtraum um 21.20 Uhr mit dem ersten Angriff begann. "Es war diese Harmonie, die sie zerstören wollten, diese Freude, die sie in den Trümmern ihrer Bomben begraben wollten", schildert Hollande den tödlichen Plan. Gerade das Gedenken an die Opfer zwinge dazu, sich nicht einschüchtern zu lassen, sagt der Präsident. Weder Hass noch Angst solle nachgegeben werden. "Angesichts des Terrors werden wir noch mehr Lieder singen, Konzerte veranstalten und wir werden weiter in die Stadien gehen", verspricht der Staatschef, der zusammen mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier selbst auf der Tribüne saß, als sich beim Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland der erste Selbstmordattentäter vor dem Stade de France in die Luft sprengte. Es ist der Geist des Widerstands gegen den Terror, den auch die Stadt Paris nach den Anschlägen verbreiten will. "Nicht mal Angst" lautet das Motto des großen Transparents am Fuße der Marianne am Platz der Republik.

"Was wollen die Terroristen? Uns spalten, uns gegeneinander aufbringen. Sie werden scheitern", bekräftigt Hollande. Zumindest in den 50 Minuten der Trauer scheint Frankreich geeint zu sein am Freitagvormittag.

Auf der Tribüne sind Politiker, Geistliche und Diplomaten vertreten. Die Chefin des rechtspopulistischen Front National , Marine Le Pen , sitzt in der dritten Reihe direkt neben dem Chef der Linkspartei. Vorne ist der konservative Oppositionsführer Nicolas Sarkozy neben der sozialistischen Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo zu sehen. Das Meer der dunklen Mäntel derer, die sich an dem kalten Novembermorgen versammelt haben, wird nur von den knallgelben Westen der Rettungshelfer durchbrochen. Am Rande des Hofes sitzen einige der 350 Verletzten der Anschläge , teilweise in Rollstühlen oder auf Tragen. Der Elysée hat darum gebeten, keine Nahaufnahmen der Gesichter von Opfern und Angehörigen zu zeigen. Ein Appell, an den sich das Fernsehen hält an diesem Trauertag.

Den Bewohnern von Paris bleiben ohnehin nur die Fernsehbilder: Kundgebungen sind wegen des Ausnahmezustands verboten. Doch einige Franzosen kommen der Aufforderung Hollandes nach und hängen die französische Flagge aus dem Fenster. "Ich habe keine mehr bekommen und deshalb drei Schals zusammengenäht", sagt die frühere Ministerin Roselyne Bachelot. Andere greifen zu Handtüchern oder Luftballons in Blau-Weiß-Rot.

Im Ehrenhof des Invalidendoms, wo sonst der getöteten französischen Soldaten gedacht wird, sind nicht alle Geladenen versammelt. So verweigerte sich der Vater von Aurélie de Peretti, die mit 33 Jahren im "Bataclan" starb, der Einladung. "Ich erinnere mich an die Anschläge im Januar. Schon am nächsten Tag gab es Ankündigungen. Doch was wurde getan? Nichts!", kritisiert er. "Es war einfach Schicksal", sagt dagegen Hacène Hayad. Der Vater von Thomas Ayad, der ebenfalls im "Bataclan" erschossen wurde, wirbt weiter für ein harmonisches Zusammenleben in Frankreich. "Die Großmütter meines Sohnes haben unterschiedliche Religionen, aber sie trauern auf dieselbe Art und Weise."

Dieses Miteinander beschwört auch François Hollande . "Wir können dieselben Gefühle teilen ungeachtet unserer Unterschiede, unserer Hautfarbe, unserer Überzeugungen, unseres Glaubens, denn wir sind eine einzige Nation, getragen von denselben Werten." Und diese Werte will der Staatschef verteidigen: "Ich verspreche, dass Frankreich alles tun wird, um die Armee der Fanatiker zu zerstören, die diese Verbrechen begangen hat." Dem "Kult des Todes" der Attentäter stellt er die Kraft der Liebe gegenüber.

Die Liebe ist es auch, die drei Frauen gleich zu Beginn der Zeremonie besingen. Es ist der bewegendste Moment der Trauerfeier, als sie das Lied "Quand on n'a que l'amour" ("Wenn nur die Liebe bleibt") von Jacques Brel neu interpretieren. Jetzt, wo Bilder der Toten über eine Großleinwand flimmern, ringt auch Hollande mit den Tränen. Auf einem einzelnen Stuhl sitzt er vor der Tribüne, mit zusammengekniffenen Lippen, einsam in der Trauer .

Wie an jedem Tag seit den Anschlägen versammeln sich auch am Freitag wieder Trauernde vor dem "Bataclan" und den anderen Tatorten wie dem "Bonne Bière" oder dem "Carillon". Noch stehen die Namen für das große Grauen. Doch aus einigen Bars sind hinter heruntergelassenen Metallrollos bereits wieder Stimmen zu hören. Handwerker richten Restaurants und Cafés neu ein, beseitigen die Spuren der Gewalt - das Leben geht weiter in Paris. Irgendwie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort