Vergiftete Hilfe: Wie das Tholeyer Gewaltopfer Britta Schug um Spendengelder betrogen wurde

Als Britta Schug aus Tholey-Scheuern Opfer eines brutalen Verbrechens wird, wollen ihr viele Menschen helfen. Doch eines dieser Angebote entpuppt sich als hinterhältig. Dreist bereichert sich eine Bauzeichnerin an den Spenden. Jetzt stand sie wegen Betrugs vor Gericht.

 Britta Schug und ihre Mutter Regina beim Benefizfest, das der Heimatort Scheuern organisierte.

Britta Schug und ihre Mutter Regina beim Benefizfest, das der Heimatort Scheuern organisierte.

Saal 35 liegt im ersten Stock des Neunkircher Amtsgerichts. Eine steile Treppe führt hinauf. Für Britta Schug ist sie allein nicht zu überwinden. Sie sitzt im Rollstuhl. Ein Lift in dem alten Gerichtsgebäude - Fehlanzeige. Vorbeikommende Besucher packen mit an und helfen, die junge Frau die Stufen hinaufzutragen. Die 28-Jährige aus Scheuern will einen Prozess verfolgen. Gegen die Frau, die versprach, ihr zu helfen, ihr Leben einfacher zu machen - und sie stattdessen nach Strich und Faden betrog.

Die Geschichte von Britta Schug hat das ganze Saarland bewegt. Am 26. August 2012 wurde die Studentin von einem 29-jährigen Mann vergewaltigt und fast zu Tode gewürgt. Danach ließ ihr Peiniger sie zusammengeschnürt im Kofferraum ihres eigenen Autos zurück, abgestellt auf einem Feldweg. Erst 20 qualvolle Stunden später fanden Freunde und Familienmitglieder die Bewusstlose. Der Täter sitzt inzwischen im Gefängnis. Für sein Opfer geht die Leidensgeschichte weiter. Denn durch das Würgen wurde das Gehirn so geschädigt, dass keine üblichen Bewegungsabläufe mehr möglich sind. Britta Schug musste außerdem mehrfach an Hüfte, Füßen und am linken Bein operiert werden, um die schlimmsten Lähmungserscheinungen zu minimieren. Auch das Sprechen fällt ihr noch schwer.

Das tragische Schicksal brachte die Gemeinschaft in ihrem Heimatort zusammen: Ganz Scheuern war auf den Beinen, als im Juni 2013 auf dem Dorfplatz bei einem Benefizfest Geld für den behindertengerechten Umbau des Hauses der Familie gesammelt wurde. Eine Woge der Hilfsbereitschaft schwappte über Britta. Auch eine junge Bauzeichnerin bot Unterstützung an. Die Frau aus dem Nordsaarland wollte die Bauleitung übernehmen. Auf eigene Kosten. Als Spendenbeitrag sozusagen. Doch dieses Hilfsversprechen war ein vergiftetes.

Nun sitzen sich fast genau zwei Jahre später die beiden gleichaltrigen Frauen im Gerichtssaal gegenüber. Die Vorwürfe gegen die Angeklagte wiegen schwer: Es geht um mehrfachen Betrug und Urkundenfälschung . Der Schaden, der allein Brittas Familie zugefügt worden sein soll: 30 000 Euro . Denn anstatt zu helfen, schröpfte die Bauzeichnerin die Spendenkasse, um eigene Schulden zu begleichen. Nur selten und dann eher zufällig blickt die Angeklagte zu Britta und ihrer Mutter Regina Backes im Zuschauerraum hinüber. Ansonsten ist ihr Haupt gesenkt. Neben ihr wartet schweigend Pflichtverteidiger Ralf Müller auf den Prozessbeginn.

Als die Richter des Schöffengerichts Platz genommen haben, verliest Staatsanwältin Bettina Burlefinger die lange Anklageschrift. Sie offenbart, wie zielgerichtet die Nordsaarländerin vorging, um an die 58 000 Euro auf dem Spendenkonto heranzukommen. Eine um die andere fingierte Rechnung flatterte bei Regina Backes ab August 2013 durch den Briefschlitz: Einzelsummen über Handwerkerleistungen von bis zu 13 715 Euro forderte die Bauzeichnerin ein. Das Geld ließ die damals selbstständige Geschäftsfrau aufs Konto ihrer Mutter überweisen. Ein eigenes Girokonto besaß sie nicht. Regina Backes zog die Notbremse, als sie im November 2013 abermals eine Forderung über 17 000 Euro erhielt, berichtet die Staatsanwältin. Es machte sie stutzig, dass sie nach einer Abschlussrechnung im Oktober abermals für einen Losheimer Unternehmer zur Kasse gebeten wurde.

Die Beweislast ist erdrückend. So gesteht die Angeklagte auch unumwunden: "Es gibt nichts zu dementieren. Es ist im Detail dargelegt." Mit weinerlicher Stimme wendet sie sich kurz an Britta Schug: "Damals habe ich nicht wirklich überlegt. Es tut mir wahnsinnig leid. Ich will es gutmachen, aber mir fehlen die Mittel." In der Tat scheint dies ein schier unmögliches Unterfangen. 50 000 Euro Schulden lasten auf der Angeklagten als Überbleibsel einer gescheiterten Beziehung. 30 000 Euro aus den Forderungen von Britta. Nicht inbegriffen: das Geld, das sie zwar im Namen der Handwerksbetriebe eintrieb, jedoch nie weiterleitete. Vor Gericht beteuert sie: "Ich will in Raten zurückzahlen."

Trotz des Geständnisses und der vor Gericht präsentierten Reue: Die Staatsanwältin sieht wegen der "besonders moralisch verwerflichen" Tat keine Chance, die Strafe auf Bewährung auszusetzen. Sie beantragt für fünf Betrugsfälle samt Urkundenfälschung inklusive eines versuchten Betrugs zwei Jahre und vier Monate Haft. Nicht zuletzt deswegen, weil die Frau auf der Anklagebank bereits in ähnlicher Sache vorbetraft ist. Zwar bestätigt Verteidiger Ralf Müller die "besondere Verwerflichkeit", hält aber zwei Jahre auf Bewährung für "angemessen".

Nach kurzer Beratungspause das Urteil: zwei Jahre Haft auf Bewährung. Gerade nochmal so, wie der Vorsitzende Richter zu erkennen gibt. Die Begründung dafür, dass sie nicht hinter Gitter muss: Sie hat eine Anstellung. Von ihrem Einkommen von 1450 Euro kann sie monatlich 500 Euro abstottern.

Für Britta und ihre Familie ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. "Wir haben 150 000 Euro in den Umbau gesteckt", berichtet Regina Backes. Davon 25 000 Euro an den Losheimer Handwerker, über dessen Leistungen die nun Verurteilte fingierte Rechnungen versandt hatte. Doch Regina Backes mag nicht klagen. Der Umbau des Hauses sei unter Dach und Fach. "Es ist alles fertig, alles bezahlt", berichtet sie erleichtert und lächelt. Türen mussten verbreitert werden, um mit dem Rollstuhl hindurchzugelangen. Das Bad ist so eingerichtet, dass es Britta ohne Probleme nutzen kann. Auch ein Außenfahrstuhl wurde angebracht. Als sie von dem Aufzug erzählt, wird die fürsorgliche Mutter wieder sehr ernst: "Dafür haben wir Geld über den Täter-Opfer-Ausgleich bekommen." Doch das reichte nicht aus. "Wir haben 10 000 Euro draufgelegt", berichtet Regina Backen. Denn es sollte ein Fahrstuhl aus Glas sein, kein geschlossener, stählerner Koloss. Und das aus triftigem Grund: "Britta hat lange genug in einem Kofferraum gelegen."

 Das Haus, in dem Britta wohnt, ist inzwischen behindertengerecht umgebaut, mitsamt einem Aufzug. Gläsern und offen sollte er sein, damit sie sich nicht eingesperrt fühlt. Fotos: Zimmermann; Bonenberger; Backes

Das Haus, in dem Britta wohnt, ist inzwischen behindertengerecht umgebaut, mitsamt einem Aufzug. Gläsern und offen sollte er sein, damit sie sich nicht eingesperrt fühlt. Fotos: Zimmermann; Bonenberger; Backes

 Britta Schug vor dem brutalen Übergriff. Sie studierte damals Bioverfahrenstechnik.

Britta Schug vor dem brutalen Übergriff. Sie studierte damals Bioverfahrenstechnik.

Zum Thema:

HintergrundBritta Schug ist am 26. August 2012 nach dem Besuch der Kirmes in Hasborn-Dautweiler von einem langjährigen Bekannten in dessen Wohnung vergewaltigt und gewürgt worden. Danach sperrte der Nordsaarländer die Frau in den Kofferraum ihres Wagens. Nach 20 Stunden wurde Britta befreit. Der Täter wurde am 28. Februar 2013 von einem Saarbrücker Schwurgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem sollte der 29-Jährige 200 000 Euro Schmerzensgeld an das Opfer zahlen. Ein Benefizfest "Gemeinsam für Britta" organisierten Vereine, Privatpersonen und die Gemeinde am 9. Juni 2013 in ihrem Heimatort Tholey-Scheuern. Dabei und in den darauffolgenden Wochen kamen 58 000 Euro an Spenden zusammen. hgn

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