Wie der Ingenieur Gunter Altenkirch zum Museumschef in Rubenheim und Bewahrer alten Saar-Brauchtums wurde

65 Jahre Leidenschaft und Sammlerfleiß hat Gunter Altenkirch in die Heimat- und Volkskunde gesteckt. Sein Museum beherbergt 50 000 Exponate der Alltagskultur, doch er sammelt mehr als Gegenstände, er sammelt Informationen. Zu Besuch in einer Schatzkammer.

 Wissenschaflter, Archivar, Journalist, Museumsbauer: Gunter Altenkirch (72) in seinem Arbeitszimmer in Rubenheim. Foto: Oliver Dietze

Wissenschaflter, Archivar, Journalist, Museumsbauer: Gunter Altenkirch (72) in seinem Arbeitszimmer in Rubenheim. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Das Holz knackt im gusseisernen Ofen, der Wind zischt am Fenster vorbei, und wenn sich Gunter Altenkirch jetzt in einen Schaukelstuhl setzen würde, wäre das die Vollendung der Filmszene. Willkommen beim bekanntesten Märchenonkel des Saarlandes? Tatsächlich befindet sich Altenkirchs Arbeitszimmer in einer niedrigen Stube seines urtümlichen Bauernhauses aus dem 18. Jahrhundert in Rubenheim , einem Ortsteil von Gersheim. Doch von träumerischer Entrücktheit keine Spur, obwohl man versucht ist, sich wie ein staunendes Kind hinein zu ducken in den "Es-war-einmal"-Zeittunnel, der sich auftut, sobald Altenkirch über das spricht, was ihn bereits 65 Jahre beschäftigt: Volkskunde und Aberglaube, Dorfalltag und Arbeiterkultur.

Doch in dieser Gelehrtenstube wird geforscht und geschrieben, analysiert und archiviert, und zwar mit einer geradezu fanatischen Systematik, die schwindeln macht - wie der Kölner Dom . Denn genau so hoch, rechnet Altenkirch vor, sind, aufeinander gestapelt, die 450 000 Karteikärtchen, die er im Laufe seines "Lebensberufs" angelegt hat. Hinzu kommen 50 000 Exponate der Alltagskultur , aufgestöbert vor allem in den 70er Jahren bei Haushaltsauflösungen, auf Flohmärkten und an den Dorfstraßen beim Sperrmüll. Aber Altenkirch sammelt mehr als Gegenstände, er sammelt Informationen - seit seinem achten Lebensjahr. Tausende Zeitzeugen-Interviews hat er geführt, nach der Methode der "Oral History" (Erzählte Geschichte), am liebsten mit Menschen, denen sonst keiner zuhört: mit Nichtsesshaften, Altenkirch spricht von "Vaganten".

Als er ein Dorfjunge war, kamen noch Peitschenschneider, Besenbinder, Scherenschleifer und Kornmacher nach Beckingen. Dorthin, wo seine Großeltern mütterlicherseits lebten und wohin seine Eltern 1946 aus Ostdeutschland geflohen waren. Neun Jahre danach war Altenkirch Vollwaise. Dann saß er bei seinem Opa oder beim "Winter Willi" und sog Sagen und Erzählungen auf. Zunächst notierte er nur die Schlussformeln, die ihn faszinierten. Bis ihn im achten Schuljahr ein junger Lehrer ermunterte: "Schreib alles auf, was dir die alten Leute erzählen." Es war oft weder logisch noch verständlich - aber wahr. Als Altenkich Teenager war und bei Röchling eine Fernmeldemonteurlehre machte, war er, wie er sagt, dem kindlichen Kosmos immer noch verhaftet. "Doch ich lernte jetzt, in die irreale Welt rational einzutauchen." Das war der Anfang.

Immer noch ist Zuhören Altenkirchs Leidenschaft. Das Museum, das er, der handwerklich Begabte, 1988 auf drei Etagen in der Scheune nebenan eingerichtet hat, dient ihm dabei als Forschungslabor. Zunächst, erzählt Altenkirch, hätten ihm die Leute Sachen vorbeigebracht und nach deren Bedeutung gefragt: eingemauerte Schuhe und Katzengerippe (Bauopfer), verkohlte Holzsplitter (Blitzableiter). Mittlerweile ist es umgekehrt: "Die Gegenstände bringen die Menschen zum Reden", berichtet Altenkirch. Der Schlüsselsatz laute: "Das do kenn ich aach." Altenkirch ist überzeugt, dass heute noch viel öfter als zugegeben uralte Zauber-Riten praktiziert würden. "90 Prozent der saarländischen Geschichte liegen im Dunkeln, weil die Wissenschaft den niederen sozialen Schichten keine Aufmerksamkeit geschenkt hat", sagt er. "Die Volkskunde wird unterschätzt." Das habe mit dem Missbrauch im Dritten Reich zu tun. Doch Altenkirch ist überzeugt: "Man muss sich um die Seele der Leute kümmern."

Er tat und tut das auf seine Art. Es ist die des diplomierten Wirtschaftsingenieurs, der seit 1974 als Verwaltungsleiter beim Fraunhofer-Institut in Saarbrücken und Dresden unter anderem für die Optimierung von Organisationsabläufen zuständig war. Erst seit 2006 ist Altenkirch in Rente. Davor musste er sich anhören: "Der ist Beamter, der hat Zeit."

In Wirklichkeit hätte er Beruf und Leben einfach nur perfekt durchgetaktet, sagt Altenkirch. Zweierlei erwies sich als Segen. Weil der Fraunhofer-Sitz auf dem Saarbrücker Universitätscampus lag, an der geisteswissenschaftlichen Wissensquelle also, besuchte Altenkirch zehn Jahre lang in Pausen Vorlesungen über Flurnamen oder Landesgeschichte.

Später nutzte er die Bahnfahrten zwischen Saarbrücken und Dresden zur Vertiefung seines Wissens. Zuhause betrieb er dann die Verschlagwortung seiner über Interviews gesammelten Erkenntnisse, nach einem komplexen, zugleich genial wirkenden System, das ihm sofort alle Veweisstellen aufzeigt. Außerdem verfasste er selbst 1800 Texte. Sprich: Altenkirch ist Wissenschaflter, Archivar, Journalist, Ausstellungsmacher und Museumsbauer in einer Person.

Jeden dritten Sonntag öffnet er die Tore für Besucher zu seiner Schatzkammer, die ein bisschen was von einem Kuriositäten-Kabinett hat. Interessierte kämen von überall her, nur nicht aus dem Dorf selbst: "Ich schätze, es waren noch keine 20 Rubenheimer hier." Den Hauptgrund vermutet er in einer Ausstellung, die die Dorfbewohner an etwas Verdrängtes erinnerte: Altenkirchs Wohnhaus, das einst das Dorf-Gasthaus war, diente zur NS-Zeit als Zivilgefangenenlager. Man sollte Heimatkunde eben nicht mit dem Ausbreiten putziger Erzähl-Häkeldeckchen über der guten alten Zeit verwechseln. Altenkirch pocht auf wissenschaftlichen Respekt für sich.

Energie und Akribie, Wissensdurst und Vermittlungslust gehen bei ihm eine Mischung ein, die ihn zu einem fordernden Gesprächspartner machen. Bis zur Unesco ist er vorgestoßen, um seine Karteikarten- und Interview-Protokoll-Sammlung zum "immateriellen Erbe" erklären zu lassen. Für sein Museum denkt er an eine öffentlich-rechtliche Stiftung. Doch nichts geht so recht voran.

Es ist auch nicht so leicht, das Füllhorn versinkenden Wissens zu erkennen. Man fühlt sich wie auf einer "Indiana Jones "-Tour, ohne Expeditionsleiter Altenkirch ginge man wohl zwischen den meterhohen Vitrinen, zwischen Stiegen und Kisten verloren. Und würde nur ein Wunderkammer-Sammelsurium wahrnehmen, vom handgenähten Fußball bis zu Töpfen, die aus Resten von US-Flugzeugen gefertigt wurden und einem noblen Toilettenstuhl aus 1890. Bei Altenkirch darf man die Nadel im Heuhaufen gar nicht erst suchen, sondern man wird sie finden, sobald man fragt, was man die Großeltern zu fragen vergaß.

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Auf einen BlickDas Museum für dörfliche Alltagskultur und Museum des saarländischen Aberglaubens gibt es seit 1988. Dort werden auf 250 Quadratmetern rund 2000 Exponate gezeigt; rund 20 000 Besucher kommen nach Angaben von Museumgründer Gunter Altenkirch pro Jahr. Es gibt Schwerpunkte, unter anderem: Kinderspielzeug, Volksmedizin, Hexenwissen, Industriearbeiter-Kultur/Sackarbeit ("Saggarwedd"), Erster Weltkrieg. Adresse: Erfweilerstraße 3, Rubenheim ; geöffnet jeden dritten Sonntag im Monat, 14 bis 18 Uhr; Termine nach Vereinbarung unter Tel. (0 68 43) 9 10 81 oder gunter.altenkirch@web.de; www.museum-alltagskultur.de . ce

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