Hässliche Risse in der glatten Fassade

Die Krimiautorin Madeleine Giese wildert in neuen Gefilden. Der aus Lebach stammenden Schriftstellerin ist mit „Galgenheck“ ein Roman geglückt, der einen erhellenden Blick hinter die scheinheilige Maske vorbildlicher Vorort-Familien wirft.

 Madeleine Giese hat einen bissigen Gesellschaftsroman geschrieben. Foto: Giese

Madeleine Giese hat einen bissigen Gesellschaftsroman geschrieben. Foto: Giese

Foto: Giese

Das pralle Leben in einer Vorortsiedlung, ein buntes Repertoire zur Befriedigung lang und ausgiebig geprägter Vorurteile gegenüber der Spießigkeit des Gutbürgerlichen. Mit "Galgenheck" hat Madeleine Giese, die vor allem mit ihren erfolgreichen Kriminalromanen für Aufsehen gesorgt hat und unter anderem auch durch eine Reihe von Hörspielen über die Grenzen der Region bekannt geworden ist, das Genre gewechselt. Das Personal in ihrem bissigen Gesellschaftsroman ist zahlenmäßig genauso überschaubar wie die dazugehörenden Lebensperspektiven. Es scheint, als lebe man nach der Devise einmal Galgenheck, immer Galgenheck. Die Namensgebung hat Madeleine Giese sicherlich nicht dem Zufall überlassen, gibt es doch in ihrem saarländischen Geburtsort Lebach eine gleichnamige Siedlung. Es darf also munter spekuliert werden.

Idylle der Oberflächlichen

Es ist das Gewöhnliche, vermeintlich allzu Bekannte, das den Charme von "Galgenheck" ausmacht. In einer von beschaulichen Einfamilienhäusern geprägten Vorortsiedlung schaut man mit herablassenden Blicken auf die wenigen Reihenhäuser, in denen diejenigen wohnen, die sich den Traum vom lauschig-idyllischen Eigenheim inklusive Teich und mit Akkuratesse geschnittenem Vorzeigerasen nicht leisten können. Man lästert über die Nachbarn, über ihre Angewohnheiten und Konfektionsgrößen, während man Kunstblumen abstaubt, sitzt aber regelmäßig zusammen, trinkt, grillt, unterhält sich über Lappalien und vermeidet tunlichst jedwedes ernsthafte Gespräch, wobei offenbleibt, ob der Horizont Letzteres überhaupt zulassen würde. Gutnachbarschaftlicher Small Talk in Perfektion. Einzig die Freundschaft zwischen dem alten, alleinstehenden Lateinlehrer Hugo und Alex, dem jüngsten Sohn von Ralf und Petra verdient ihren Namen und basiert auf wahrhaftiger, ehrlich gemeinter Kommunikation und Fürsorge. Unterbrochen wird die Heimeligkeit nur durch einen umherschweifenden schwarzen Kater, der Anpflanzungen zerstört, Vögel und einen 500-Euro teuren Koi-Karpfen meuchelt und mit seinem dämonischen Blick durchs geschlossene Fenster im Schlafzimmer von Katrin und Manfred für einige Irritationen sorgt.

Ende der Sorglosigkeit

Dann fällt das wahre Leben über die Idylle her, die Fassade bekommt hässliche Risse, die die Vorbereitungen des geplanten Straßenfestes ganz empfindlich stören. Manfred, der die Baufirma seines Schwiegervaters geerbt und seiner Katrin ein sorgloses Hausfrauendasein im Galgenhecker Eigenheim ermöglicht hat, steht vor den Trümmern seiner beruflichen Existenz und erhofft sich durch seinen Nachbarn Ralf, seines Zeichens Bankangestellter und für die Kreditvergabe zuständig, die Erhöhung seiner Kreditlinie. Einzig diese nachbarschaftliche Intervention kann den Bankrott der Firma verhindern. Als ob dieses Erdbeben nicht schon genug wäre, konfrontiert Alex, das schwarze Schaf der Familie, seine Eltern mit einem Video, auf dem sein Bruder Kay zu sehen ist und das der gutbürgerlichen Scheinheiligkeit endgültig die Maske herunterreißt.

Unterhaltsam und pointiert, mitunter auch sarkastisch und geadelt mit einem - allerdings nicht nur für Katzenallergiker etwas großzügig bemessenen Samtpfotenauftritt, zeigt Madeleine Giese, dass sie auch das Wildern in neuen Gefilden mit Bravour beherrscht.

Madeleine Giese: Galgenheck. Conte Verlag, 280 Seiten, 16,90 Euro.

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