Viel Arbeit für die Ohrwürmer

Bonn · Wenn das Gehirn sich langweilt, schlägt er zu. Dann setzt sich der Ohrwurm in den grauen Zellen fest. Gerade in der Weihnachtszeit gibt es viele Songs, die sich nicht mehr abstellen lassen.

Der Gemeine Ohrwurm ist ein Fluginsekt. Von der Antike bis in die frühe Neuzeit hinein wurden die Tiere pulverisiert als Medizin gegen Ohrkrankheiten und Taubheit verabreicht. Weit weniger nützlich ist der musikalische Ohrwurm, der dem Hörer quasi ins Ohr kriecht. "Ich summ den ganzen Tag das immer gleiche Lied, es sitzt in meinem Kopf und geht nicht weg", heißt es im Ohrwurm-Song der Kölner A-Capella-Gruppe Wise Guys. "Hab alles ausprobiert, damit es sich verzieht, doch leider hat das alles keinen Zweck."

Besonders häufig sind Ohrwurm-Attacken in der Adventszeit. Auf Weihnachtsmärkten und in Kaufhäusern dudeln Songs wie "Last Christmas", "Feliz Navidad", "Wonderful Dream" und "Christmas in my heart". Als "riesige Umweltverschmutzung" bezeichnet Startenor Rolando Villazon (43) diese Praxis. Advents- und Weihnachtslieder könnten Menschen in einen Geist des Teilens und Umarmens versetzen. Doch den Dauerschleifen in den Kaufhäusern sei man wehrlos ausgeliefert. Das sei "einfach unerträglich".

Doch wie kommen Ohrwürmer in die Köpfe? "Ohrwürmer sind musikalische Zwangsgedanken, halten aber das Hirn wach", sagt Christoph Reuter, Musikwissenschaftler der Uni Wien. Und Jan Hemming, Musikwissenschaftler und Ohrwurmforscher von der Universität Kassel , vermutet, dass das Gehirn die Endlosschleifen bevorzugt dann produziert, wenn es sich langweilt. Nach seinen Untersuchungen entstehen Ohrwürmer zu mehr als 70 Prozent in Alltagssituationen wie Abwaschen und Aufräumen beziehungsweise in Leerlauf- und Wartephasen.

Ist ein Zuhörer mit einem bestimmten Titel gut vertraut, so erhöht dies die Chancen des Musikstücks, zum Ohrwurm zu werden. In einer Versuchsreihe am Kasseler Institut für Musik zeigte sich, dass zwei Drittel der Stücke, die sich bei den Probanden zum Ohrwurm entwickelten, bei den Betroffenen bereits bekannt und beliebt waren. Pure Wiederholung reicht aber nicht aus, um das Gehirn zu infizieren. "Das Auftreten eines Ohrwurms ist immer unwillkürlich", erklärt Hemming.

Und wie wird man die klebrigen Lieder wieder los? "Indem man sich auf anderes konzentriert, etwa auf die Steuererklärung, die Hausaufgaben oder andere Musik", sagt Hemming. Neueste Befunde aus England legen nahe, dass auch das Kaugummikauen helfen kann, um sich abzulenken und die Dauerschleife zu unterbrechen. Bei der Untersuchung am Kasseler Institut für Musik berichteten einige Probanden, dass der Ohrwurm nach einigen Minuten verschwand. Manche wurden von der immer wiederkehrenden Melodie im Kopf bis zu drei Wochen heimgesucht.

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