In Libyen stehen alle Zeichen auf Alarm

Tripolis · Die nächtliche Militär operation dauert etwa fünf Stunden. Bewohner von Tripolis hören die Militärmaschinen und sehen einen langen Fahrzeug-Konvoi, der die libysche Hauptstadt verlässt: Die USA bringen sämtliche Mitarbeiter ihrer Botschaft in Sicherheit.

Rund 150 Menschen sind es, die im Nachbarland Tunesien Unterschlupf finden - "vorübergehend", wie das US-Außenministerium erklärt. Grund für den Abzug sind heftige Kämpfe rivalisierender Milizen in Tripolis - auch in unmittelbarer Nähe der US-Vertretung.

Washington will diesmal kein Risiko eingehen. Denn in Libyen verloren die USA erst vor knapp zwei Jahren einen Botschafter auf grausame Art: Im September 2012 wurden der Gesandte Christopher Stevens und drei weitere Diplomaten bei einem Terror-Angriff auf das Konsulat in der libyschen Hafenstadt Bengasi getötet. Die derzeitige US-Botschafterin Deborah Jones wendet sich nach ihrer Ausreise über den Kurznachrichtendienst Twitter an die Libyer: "Inshallah" ("So Gott will"), schreibt Jones, "sind wir bald wieder zurück in Tripolis ." Viele Menschen in Libyen teilen diese Hoffnung allerdings nicht. Sie befürchten, dass aus ihrem Land ein neues Somalia wird und warten mit Sorge darauf, was nun kommt. Auch das Auswärtige Amt beurteilt die Lage als Extrem unsicher und ruft alle Deutschen auf, das Land sofort zu verlassen.

Derzeit kämpfen Milizen gegeneinander, die sich im Arabischen Frühling 2011 als so genannte Revolutionsbrigaden gemeinsam gegen Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi erhoben hatten. Sie eroberten zahlreiche Waffendepots des Diktators - Kriegsgerät, das sie nicht wieder hergeben wollen. Die Regierung versuchte bislang erfolglos, die Gruppen in den Sicherheitsapparat einzubinden.

Die wichtigsten Fronten verlaufen derzeit zwischen Islamisten und ihren Gegnern. Mitte Mai begann der pensionierte Generalmajor Chalifa Haftar einen eigenmächtigen Krieg gegen islamische Extremisten, der vor allem im östlichen Bengasi tobt. Am internationalen Airport von Tripolis wiederum liefert sich seit gut zwei Wochen die mächtige Misrata-Miliz, die der Muslimbruderschaft nahesteht, Gefechte mit den einflussreichen Brigaden aus Al-Sintan. Keiner der Kontrahenten ist stark genug für einen Sieg. Das könnten Terror-Organisationen ausnutzen, fürchten Beobachter in der Region.

Ende Mai gingen die Vereinten Nationen davon aus, dass sich die Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) aus Algerien und Mali zurückgezogen hat, um sich im Süden Libyens neu zu formieren. Und nach arabischen Medienberichten wird die mit der Al-Kaida konkurrierende Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die im Irak und Syrien ein Kalifat ausgerufen hat, auch in Nordafrika aktiv. Die algerische Zeitung "Echorouk" schreibt, ein Vertreter der IS-Führung habe jüngst Anhänger des berüchtigten algerischen Islamisten Mokhtar Belmokhtar kontaktiert. Thema der Debatte: die Gründung eines Kalifats im nordafrikanischen Maghreb - vermutlich zunächst in Libyen.

Die Nachbarländer sind alarmiert. Vor zwei Wochen vereinbarten Tunesien, Algerien , Ägypten, der Sudan, der Niger und der Tschad eine Zusammenarbeit beim Grenzschutz, um grenzüberschreitende Terror-Aktivitäten zu verhindern. Für die Libyer ist das kein Trost. Auf den Tweet der US-Botschafterin antwortet ein Nutzer: "Wenn die IS-Miliz Libyen übernimmt, werden wir alle Sklaven eines neuen skrupellosen Diktators sein."

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