Die Vermessung von „Neuland“

Als "Neuland" bezeichnete Angela Merkel einmal das Internet . Sicher aus Versehen, denn die Kanzlerin beherrscht es durchaus. Das Wort war eher ein Freud'scher Versprecher, bei der die Wahrheit aus Versehen ans Tageslicht kommt.

Politisch hat die Bundesregierung das Internet in den vergangenen acht Jahren unter Merkels Verantwortung nämlich tatsächlich sträflich vernachlässigt.

Daher kann man den gestrigen Kabinettsbeschluss über eine "Digitale Agenda", die das alles wieder gutmachen soll, auch nicht uneingeschränkt bewundern. Natürlich, besser spät als nie. Aber für ein Industrieland wie Deutschland, das davon lebt, Spitzentechnologie zu entwickeln und weltweit zu vermarkten, ist es ein schwerer Mangel, dass ein solches umfassendes Arbeitsvorhaben erst jetzt formuliert wird. 22 Jahre nachdem die erste SMS abgeschickt wurde und 30 Jahre nachdem die erste Mail durch das Netz jagte. Und es ist viel zu spät, um die Amerikaner, Japaner, Südkoreaner oder Finnen wieder einzuholen. Insofern hat der großspurige Satz in dem Papier, Deutschland solle das "digitale Wachstumsland Nummer 1 in Europa" werden, einen Wahrheitsgehalt: Es gibt wahrlich Luft nach oben.

Drei Minister haben das Werk gestern stolz wie junge Väter vorgestellt und dabei geflissentlich verschwiegen, dass sie für das Baby kaum Unterhalt zahlen wollen. Diese Entscheidung wurde bei den Koalitionsverhandlungen im zurückliegenden Herbst getroffen, als man die in einer Arbeitsgruppe schon beschlossene eine Milliarde Euro jährlich für den flächendeckenden Breitbandausbau kurzerhand wieder strich. Jetzt sollen die Erlöse aus künftigen Funkfrequenzversteigerungen aushelfen, also Geld, das noch gar nicht da ist und sicher nicht ausreichen wird. Die Telekom beziffert die Ausbaukosten allein für die letzten zehn Prozent der Versorgung mit schnellem Internet - und das sind die ländlichen Gebiete, wo Bürger und Mittelständler händeringend darauf warten - auf 15 Milliarden Euro. Ohne Förderung wird der Konzern die nicht ausgeben.

Man kann das Wort "Agenda" unterschiedlich verstehen. Wie die Reform-Agenda 2010 als Katalog von Lösungen, die man tatsächlich umsetzt. Oder als Katalog von Fragen und Aufgaben, derer man sich bei Gelegenheit einmal annehmen möchte. Um Letzteres handelt es sich bei dieser "Digitalen Agenda". Gelöst ist mit ihr noch lange nichts. Nicht der Datenschutz, nicht die IT-Sicherheit, nicht die Förderung der IT-Wirtschaft, nicht die Forschung, nicht die digitale Bildung, nicht einmal die Versorgung. Aber wenigstens ist Merkels "Neuland" nun vermessen. Das ist ja immer der erste Schritt zur Besiedelung . Besser spät als nie.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort