Europa droht soziale Spaltung

Gütersloh · Hohe Wirtschaftskraft ist kein Garant für soziale Gerechtigkeit. Zu diesem Schluss kommt der neue EU-Gerechtigkeitsindex – und sieht deshalb auch bei Deutschland in vielen Bereichen Nachholbedarf.

Der EU droht als Folge der Finanzkrise eine soziale Spaltung zwischen Nord und Süd. Das Gefälle zwischen den Teilhabechancen in den noch immer wohlhabenden Staaten Nordeuropas und den Krisenländern im Süden habe sich vergrößert, heißt es im ersten EU-Gerechtigkeitsindex der Bertelsmann-Stiftung. "Dies birgt Zündstoff für den gesellschaftlichen Zusammenhalt innerhalb der EU. Sollte die soziale Spaltung lange andauern oder sich sogar noch weiter verschärfen, gefährdet dies die Zukunftsfähigkeit des europäischen Integrationsprojekts."

Der EU-Gerechtigkeitsindex untersucht anhand von 35 Kriterien die Aspekte Armutsvermeidung, Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt, Gesundheit, Generationengerechtigkeit sowie gesellschaftlicher Zusammenhalt und Nicht-Diskriminierung. Während sich die Wirtschaft stabilisiere, sei das Niveau der sozialen Gerechtigkeit in den meisten der 28 EU-Staaten seit 2008 gesunken, heißt es in der Studie.

Deutschland habe zwar das Maß der sozialen Gerechtigkeit als eines der wenigen Länder gesteigert, liege aber in vielen Bereichen dennoch nur im Mittelfeld. Die leichte Verbesserung hierzulande gehe besonders auf die gute Entwicklung am Arbeitsmarkt zurück, schreiben die Experten. Unterm Strich landet Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas im Gerechtigkeitsindex auf Platz 7. Schweden, Finnland, Dänemark und die Niederlande stehen an der Spitze. Auf dem letzten Platz findet sich Griechenland.

Deutschland kommt trotz einiger Fortschritte beim europäischen Vergleich zur "Bildungsgerechtigkeit" nicht über einen 14. Rang hinaus. Im Bereich Gesundheit (Rang 10) kann Deutschland zwar eine hochwertige medizinische Versorgung vorweisen. Dennoch sei die Zahl der hier zu erwartenden "gesunden Lebensjahre" im EU-Vergleich unterdurchschnittlich (Rang 23).

Eine grundlegende Erkenntnis ist nach Ansicht der Experten, dass Wirtschaftskraft "zwar eine wichtige Voraussetzung, aber auch kein automatischer Garant für soziale Gerechtigkeit" sei. Das Thema soziale Gerechtigkeit sollte darum nach Ansicht der Stiftung künftig deutlich stärker ins Zentrum der europäischen Politik rücken. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD ) sagte dem "Focus": "Dass sich in Europa eine immer größere Gerechtigkeitslücke auftut, dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen." Man müsse in Europa dringend etwas gegen die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit tun, "weil sie unsere Gesellschaften von innen zerstört".

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