Brüssel wagt mehr Transparenz

Brüssel · Die EU ist ein Mekka für Lobbyisten. Tausende suchen die Nähe zu politischen Entscheidern. Die Kommission will diese Treffen nun öffentlich machen. So viel Transparenz kommt nicht bei allen Abgeordneten gut an.

"Keine Absprachen mehr hinter verschlossenen Türen" - mit diesem Versprechen hatte Jean-Claude Juncker Wahlkampf bei der Europawahl gemacht. Nach nur drei Wochen im Amt wird die Kommission in der kommenden Woche diese Zusage ihres Präsidenten einlösen: "Wir wollen ganz klar sagen, was wir tun. Wir wollen vollkommen transparent sein, was unsere Treffen angeht", kündigte Junkers rechte Hand, Vizepräsident Frans Timmermans, jetzt an.

Nicht nur die Kommissare, sondern auch ihre politischen Top-Leute in den Kabinetten und die 64 Generaldirektoren der nachgeordneten Verwaltung sollen dann konkret auflisten, mit welchen Vertretern von Interessenverbänden und Lobbygruppen sie sich getroffen haben. Ausnahmen gibt es nur für nichteuropäische Gesprächspartner, bei denen ein hohes Interesse an Diskretion besteht - zum Beispiel politisch verfolgte Dissidenten. "Unsere Arbeit soll nachvollziehbar sein", begründete Timmermans den Vorstoß seines Hauses.

Das gilt künftig auch für Gespräche rund um das umstrittene Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP). Wenn sich das europäische Spitzenpersonal mit Beratern, Experten oder Vertretern anderer Regierungen zusammensetzt, darf die Öffentlichkeit dies erfahren. "So kann man Sorgen und Mythen abbauen, die da draußen herumgeistern", stellte sich die neue Handelskommissarin Cecilia Malmström hinter die Idee ihres Chefs. Als eine der Organisationen, die viel Lobbyarbeit betreiben, begrüßte der Verband der chemischen Industrie gegenüber unserer Zeitung den Vorschlag: Man vertrete die Interessen dieser Branche und habe "nichts zu verbergen".

Rund um das Brüsseler Europa-Viertel mit Kommission, Parlament und Ministerrat haben sich rund 20 000 Lobbyisten und Vertretungen von Nichtregierungsorganisationen niedergelassen. Ihr Einfluss auf die Gesetzgebung gilt als erheblich. Vor diesem Hintergrund hatte die EU bereits 2011 ein Transparenz-Register eingeführt, das derzeit 7058 Einträge enthält. Darunter 3471 Lobbyisten von Gewerbe- und Berufsverbänden, 1839 Nichtregierungsorganisationen, 877 Beratungsfirmen, Anwaltskanzleien und selbstständige Berater, 506 Denkfabriken und Forschungseinrichtungen sowie 325 kommunale, lokale und regionale Organisationen. Doch wer sich mit wem zu welchem Thema trifft, blieb bislang verborgen.

Die Kommission will das ändern und forderte tags zuvor das Parlament auf, diesem Beispiel zu folgen. Zwar haben viele Volksvertreter auf ihren Seiten im Internet inzwischen erste Versuche unternommen, ihre Arbeit so transparent wie möglich zumachen. CDU-Europa-Politiker Daniel Caspary warnte aber vor einem zu weitgehenden Schritt: "Es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei TTIP immer noch um laufende Verhandlungen handelt, die immer ein gewisses Maß an Vertraulichkeit erfordern werden."

Tatsächlich gilt selbst bei den Befürwortern möglichst weitgehender Offenheit das EU-Parlament nicht als Hauptproblem. Der Ministerrat hingegen sträubt sich bisher hartnäckig gegen jeden Schritt, der seine Arbeit öffentlich machen könnte. Dabei werden in diesem Gremium, in dem die Staaten durch ihre jeweiligen Fachminister repräsentiert werden, viele Entscheidungen wesentlich beeinflusst. Absehbar ist allerdings, dass die "Juncker-Initiative" sowohl die Volksvertreter wie auch den Rat unter Druck setzt, dem Beispiel zu folgen.

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