Käfige im Gericht sind verboten

Straßburg · Angeklagte dürfen in Russland vor Gericht nicht länger in Metallkäfige gesperrt werden. Diese dort übliche Praxis stellt eine menschenunwürdige Behandlung dar urteilten die Straßburger Richter.

Rund um den Erdball flimmerten die Bilder über Fernsehschirme: Eingesperrt in Käfige und gut sichtbar für die Kameras der Journalisten mussten sich der frühere Ölmagnat Michail Chodorkowski und die jungen Frauen der Punkrockband Pussy Riot während ihrer Gerichtsverhandlungen vor der Weltöffentlichkeit auf erniedrigende Weise vorführen lassen. Bei der russischen Justiz ist diese demütigende Zurschaustellung von Untersuchungshäftlingen während ihrer Prozesse gängige Praxis. Über diese fragwürdige Methode hat der Menschenrechtsgerichtshof jetzt ein vernichtendes Urteil gefällt: Die Präsentation von Angeklagten in Gitterkäfigen im Gerichtssaal stelle einen "Angriff auf die Menschenwürde" und eine "nicht zu rechtfertigende Demütigung" von Beschuldigten dar. Hinter diesem Vorgehen der Justiz stehe die Absicht, die Betroffenen "herabzuwürdigen", kritisieren die Europaratsrichter in ihrer Entscheidung von gestern. Jemanden in einen Käfig einzusperren, sei "unvereinbar mit den zivilisierten Normen einer demokratischen Gesellschaft".

Erstritten haben dieses Grundsatzurteil, das von der 17-köpfigen Großen Kammer des Gerichtshofs unter Präsident Dean Spielmann (Luxemburg) persönlich gefällt wurde, keine bekannten Russen, sondern zwei Beschwerdeführer ohne prominente Namen.

Mit ihrer Klage in Straßburg haben diese beiden auf dem Kontinent ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben, schließlich gilt der Spruch für alle 47 Europaratsländer.

Die zwei Russen standen unter Verdacht, als Mitglieder einer Bande gewalttätige Raubüberfälle verübt zu haben. Letztlich wurde der eine freigesprochen, der andere musste fast drei Jahre in den Knast. Während ihrer langwierigen Prozesse wurden sie in einen Metallkäfig gezwungen, der 2,50 Meter lang und 1,50 Meter breit war. Neben dem Gitterverschlag standen bewaffnete Wächter. Die zwei Russen reichten in Straßburg Klage gegen diese "entwürdigende" Behandlung ein.

Schon im Dezember 2012 schlug sich eine Kleine Kammer auf ihre Seite. Gegen diese erstinstanzliche Entscheidung legte Moskau Berufung ein, weswegen nun die Große Kammer als letzte Instanz ein rechtskräftiges Urteil verkündete. Spielmanns Kollegium wies die Begründungen des Kremls für das Einsperren von Angeklagten in Käfigen rundherum zurück. Moskau führt ins Feld, dass diese 1994 und damit nach dem Ende der Sowjetunion eingeführte Praxis die "Sicherheit" im Gerichtssaal gewährleisten solle, schließlich könnten Angeklagte gefährlich werden.

Die Europaratsrichter machen indes klar, dass nichts eine derart schwer wiegende Verletzung der Straßburger Menschenrechtscharta rechtfertigen könne, die Folter und Erniedrigungen von Menschen absolut untersage. Die Zurschaustellung im Käfig solle den Betroffenen vielmehr ein Gefühl der "Demütigung, der Ohnmacht, der Angst und der Minderwertigkeit" aufzwingen. Die öffentliche Präsentation von Angeklagten in Käfigen richte sich zudem gegen die Unschuldsvermutung. Der Kreml muss jetzt an die zwei Beschwerdeführer insgesamt 26 000 Euro Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlen.

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