Eisbrocken erschlagen Eltern

Luster · Die dramatisch schönen Gletscher Norwegens ziehen unzählige Touristen an. Ihre unberechenbare Naturgewalt unterschätzen Urlauber aber oft. Einer deutschen Familie wurde das zum tödlichen Verhängnis.

Die Reisegruppe hörte das Donnern von herunterkrachendem Eis. Dann Stille. "Alle blieben ruhig und sind zurück zum Parkplatz gegangen", sagt der Niederländer Erik Bloemink (16). Die Urlauber ahnten nicht, welches Drama sich da gerade auf dem Gletscher Nigardsbreen in Norwegen abgespielt hatte: Dass ein deutsches Ehepaar zu nah an einem Vorsprung stand und seine Kinder ansehen mussten, wie riesige Eisbrocken die Eltern erschlugen. "Es ist unvorstellbar, wie die Kinder sich gefühlt haben müssen", sagt Bloemink dem norwegischen Rundfunk.

Zuvor hatte die Familie eine geführte Tour über den Gletscher im Nationalpark Jostetal mitgemacht, der jedes Jahr Zehntausende Besucher aus aller Welt anzieht. Dann zogen die Eltern mit ihren beiden acht und zehn Jahre alten Söhnen auf eigene Faust weiter und ignorierten dabei wohl Warnschilder. Als die Eisblöcke auf das zwischen 30 und 40 Jahre alte Paar herabstürzten, standen die Jungen in der Nähe. "Körperlich blieben sie unverletzt", sagt eine Polizeisprecherin. "Ich habe damit gerechnet, dass irgendwann so etwas passiert", sagt Gletscher-Guide Bjørnar Bjørhusdal der Zeitung "Bergens Tidende". "Viele Besucher halten sich nicht an die Warnungen und Absperrungen." Gerade ausländische Touristen unterschätzten die Gefahren, die in der Landschaft lauerten. "Man muss bedenken, dass ein Kubikmeter Eis etwa 900 Kilo wiegt", sagt Bjørhus dal. Im Sommer löse sich täglich Eis vom Gletscher , mal mehr, mal weniger. "Lebensgefährlich ist es immer." In diesem Sommer war es oft mehr.

Letzte Gletscher-Tote 1986

"Wir wissen, dass es sehr lange warm war und das Schmelzen groß, vielleicht größer als sonst", erklärt Ivar Kvalen, Vorstand der Kommune Luster , im norwegischen Rundfunk. "Der Gletscher ist instabiler." Unfälle sind im Jostetal nicht selten, das letzte tödliche Unglück am Nigardsbreen liege aber lange zurück, sagt Bjørhusdal: Herunterstürzende Eismassen begruben im Juli 1986 eine Dänin und ihre achtjährige Tochter unter sich.

"Wenn man nicht mit einem Guide geht, ist es nicht sicher", ist Bloemink überzeugt. Etwa 30 Touristen waren bei der Tour dabei, die die Familie am Sonntag mitmachte. Alle anderen verließen den Gletscher unversehrt. Die Urlauberin Heike Uthmann machte zufällig kurz vor dem Unglück ein Bild, das das deutsche Ehepaar an dem Vorsprung zeigt. Später hörte auch sie das charakteristische Geräusch, als sich das Eis löste. "Als wir freie Sicht hatten, sahen wir, dass Leute zu Hilfe eilten. Ein Mensch lag leblos am Boden", erzählt sie der "Bergens Tidende". "Das Ganze ist schrecklich."

"Es ist zutiefst tragisch", sagt Kvalen, "dass zwei minderjährige Kinder ihre Eltern verloren haben und Zeugen dieses grausamen Unglücks wurden." Die beiden Jungen, die mit ihren Eltern mit dem Auto im Norwegen-Urlaub waren, sollten von den Großeltern abgeholt werden. Bis dahin betreute sie das Krisenteam der Kommune Luster . "Wir sind die ganze Zeit bei ihnen", sagt Arzt Truls Rogstad. "Wir schirmen sie von den schlimmsten Eindrücken ab."

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