Gute Noten gegen Geld

Hannover · 30 000 Euro und eine Pistole hatte ein Richter bei sich, als er im Frühjahr in Italien festgenommen wurde. Der Mann soll Examenslösungen verkauft haben. Nun werden die Abschlüsse von 2000 fertigen Juristen in Niedersachsen untersucht.

Gute Examensnoten für ein paar Tausend Euro kaufen: So ein Angebot kann verlockend klingen, selbst für einen jungen Menschen mit Berufsziel Staatsanwalt. Mit der Not von Studenten und Referendaren, die dem Druck des harten Jurastudiums nicht gewachsen waren, soll ein Richter in Niedersachsen viel Geld verdient haben. Er soll Klausurlösungen für das zweite Staatsexamen verkauft haben. Deswegen müssen nun 200 Sonderprüfer die Abschlüsse von 2000 fertigen Juristen in Niedersachsen untersuchen. "Es gibt Auffälligkeiten, das kann man jetzt schon sagen", sagt der Sprecher des Justizministeriums in Hannover , Alexander Wiemerslage.

Wie viele Referendare sich zum Betrügen verleiten ließen, das wird erst nach Abschluss der Untersuchungen im Herbst feststehen. Bisher wurde gut ein Drittel der Abschlüsse durchleuchtet. "Es wird sicher in Einzelfällen zu Verfahren kommen, die die Aberkennung von Prüfungsleistungen zum Ziel haben", erklärt der Ministeriumssprecher. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Verden gegen den unter Korruptionsverdacht stehenden Richter sind noch nicht abgeschlossen. Der Mann war seit 2011 an das Justizprüfungsamt des Landes Niedersachsen abgeordnet, untersucht werden alle Abschlüsse seit seinem Amtsantritt dort. Für bundesweites Aufsehen sorgte im Frühjahr die Flucht des Richters nach Italien, wo er mit 30 000 Euro und einer geladenen Pistole in einem Mailänder Hotelzimmer aufgespürt wurde. Nun sitzt er seit über vier Monaten in Untersuchungshaft, ohne sich zu den Vorwürfen geäußert zu haben. Ist der Druck bei Juristen so viel größer als in anderen Studiengängen? "Nervenzusammenbrüche, Herzrhythmusstörungen, Weinkrämpfe während der Klausur, die Horrorgeschichten aus dem Staatsexamen kennt jeder", sagt Niklas Mühleis, der in Hannover Jura studiert und Sprecher der studentischen Fachschaft ist. "Wenn ich das vergleiche mit Freunden aus anderen Studiengängen, ist der Stress viel größer."

Er nennt vor allem einen Grund dafür: die hohen Durchfallquoten und die Bedeutung der Abschlussnote, die bei Juristen ungleich größer ist als anderswo. "Es gibt Durchfallquoten von 30 Prozent im zweiten Staatsexamen ", sagt Mühleis. "Gerade für die Leute, die schon einmal durchgefallen sind, ist das ein unheimlicher Druck." Um fit für die Abschlussprüfung zu werden, geben viele Studenten zusätzlich Geld aus und büffeln in privaten Repetitorien - ein eigener Geschäftszweig, den es nur bei Juristen gibt. "120 Euro pro Monat kann man dafür loswerden", sagt Student Mühleis. Über so ein Lernstudio soll der Richter unter Korruptionsverdacht unter anderem Kontakt zu potenziellen Kunden aufgenommen haben. Dabei soll er sich vornehmlich an tendenziell verzweifelte Kandidaten gewandt haben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort