Der talentierte Herr KrullGeldgier macht lustig

Saarbrücken. Seifenblasenregen, dazu Sektflaschen, die das Spielfeld rahmen: Immerhin, das Entrée lässt noch jene Finesse ahnen, die man mit Thomas Manns "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" gemeinhin verbindet. Dann aber vertrocknet die Champagnerlaune - auf dieser in Tourneetheater-Kärglichkeit ausharrenden Bühne (Bühnenbild: Anja Jungheinrich). Kerniger geht es zu

Saarbrücken. Seifenblasenregen, dazu Sektflaschen, die das Spielfeld rahmen: Immerhin, das Entrée lässt noch jene Finesse ahnen, die man mit Thomas Manns "Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull" gemeinhin verbindet. Dann aber vertrocknet die Champagnerlaune - auf dieser in Tourneetheater-Kärglichkeit ausharrenden Bühne (Bühnenbild: Anja Jungheinrich). Kerniger geht es zu.

Der Krull, das ist ein Filius aus passablem Hause. Als lebensfroher Schaumweinfabrikant firmiert der Papa (schön dekadent mimt ihn Hans-Georg Körbel). Bloß prickelt die Hausbrause zu grob - und treibt die Krulls in den Bankrott. Kein Wunder, dass dem Sohn all das, das Unsichere, das Piefige auch, leid ist. Er will raus, steil nach oben. So trickst er sich durch - vom Liftboy und Kellner im Pariser Edel-Hotel, vom Liebhaber reifer Ladies und trübsinniger Lords zum vorgeblichen Adligen. Ein Spieler ist dieser Krull, der mit jeder noch kühneren Täuschung die Gesellschaft herausfordert. Und mit jeder Rolle, die er annimmt, sich selbst mehr und mehr verliert. Fraglos zählt es zu den schönsten Spekulationen der Literaturwissenschaft, was aus Krull noch hätte werden können, hätte Mann sein Fragment vollendet.

Nein, auch Autor John von Düffel, der für die Saarbrücker Bühne den Roman bearbeitete, gibt da keine Antwort, belässt es bei einem abruptem Finale. Versiert aber in der Dramatisierung Mannscher Epik (Buddenbrooks, Joseph) findet er auch diesmal einen überzeugenden Weg aus einem 400-Seiten-Roman zwei Theaterstunden zu machen. Weithin ist es ein Monolog Krulls, Aktion und Dialog bleiben zweitrangig. Freilich achtet Von Düffel penibel darauf, Manns feinen Duktus zu erhalten.

Regisseurin Bernarda Horres zieht aber in eine andere Richtung. Sie sieht in Krull einen moderneren Typus. Dessen Bekenntnis, sein Verhältnis zur Gesellschaft sei "widerspruchsvoll", gibt dazu das zornig interpretierte Leitmotiv. Darum wohl auch wird in dieser Inszenierung so oft geschrien. Wobei Boris Pietschs durchgebrüllter Auftritt als Stabsarzt den Tiefpunkt setzt. Da kippt die Parodie in Albernheit. Dabei kann Pietsch, er beweist's im Zweitauftritt als Hoteldirektor Stürzli, auch das Subtilere.

Dennoch, die oft aufgeheizte Stimmung, der raue Ton, er passt zu Johannes Questers bis in die wirren Haarspitzen hochenergischem Spiel. Auch Saskia Petzold ist zu rühmen. Als Krulls Mutter, als Madame Houpflé, als Senhora Kuckuck kehrt sie drei Mal wieder, und ist mal überbemutternd, mal verführerisch, die Frau, die Krulls Entwicklung auslöst, weitertreibt. Und der ist nicht bloß einer, der den Komment nicht akzeptiert. Er sprengt diese Gesellschaft, wälzt um, attackiert. Und was er tut, tut er überlegt. Da gleicht Quester im Spiel einem anderen, einem mörderischen Parvenü: Patricia Highsmiths talentiertem Mr. Ripley nämlich. Wenn's darauf ankommt, wenn dieser Krull die liebestrunkene Eleanor (köstlich Melanie von Sass als überdrehtes It-Girl) und die Offerte, beim melancholischen Lord Kilmarnock Kammerdiener zu werden (Johannes Schmidt) zurückweist, oder Marquis de Venostas Identität (Pit-Jan Lößer) übernimmt, dann ist er kalt, überlegt wie Ripley. Man mag Thomas Manns eleganten Schlawiner vermissen, sich auch fragen, ob jeder Roman unbedingt aufs Theater muss, doch das bravouröse Spiel dieses Ensembles - das steht außer Frage.

Termine: 20. und 24. Januar; Karten unter Tel. (0681) 3 09 24 86.

Saarbrücken. Dieser Horváth segelt dicht am Wahnsinn - wie der psychedelische Desaster-Rock von "Amon Düül II", der hier das Stelldichein verkrachter Existenzen in der Alten Feuerwache untermalt. Im schwülrot-durchglühten Bordell-Hotel "Zur Schönen Aussicht" (Bühne: Sabine Mader) tobt ein Willy-Millowitsch-Schwank. Der ist nicht gemütlich, sondern grässlich komisch. Regisseur Wolfram Apprich evoziert eine der Zeit enthobene Geisterbahn-Halbwelt: Hier passt ein Zirkusdirektor, der einem expressionistischen Max-Beckmann-Gemälde entlehnt scheint, neben eine David-Bowie-Kopie, pathetische Stummfilm-Gestik zum Lore-Roman-Tonfall der Fünfziger. Welch ein durchgeknalltes Szenario. Apprich hat wahrlich tief hineingegriffen in grelle, parodistische Theaterschminke. Die beschleunigt bekanntlich die Demaskierung, und insofern besitzt sie für ein Ödön-von-Horvath-Stück ihr gutes Recht. Denn der Autor (1901-1938) entwickelte selten rabiate Entlarvungs-Energien, Nicht, um die Gemeinheit der Menschen, sondern um die Bestialität der Verhältnisse offen zu legen: Geld frisst Moral und Charakter. Und in der "Schönen Aussicht" - 1926 geschrieben, aber erst 1969 uraufgeführt - geht es um die Käuflichkeit in Beziehungen. Horváth führt uns eine marode Männerclique vor, die sich prostituiert. Man(n) kuscht vor der daueralkoholisierten Freifrau von Stetten - bis Christine auftaucht. Sie will den Vater ihres Kindes, den ruinierten Hotelbesitzer Strasser, mit ihrer Erbschaft retten. Man(n) verkennt und demütigt sie als Abzockerin, dann umwirbt man(n) sie als gute Partie.

Selbst diese "reine" Frauen-Figur wird in der Feuerwache von Dorothea Lata karikierend verfärbt. Christine, ein bisschen blöd, eine romantische Verirrung. Denn wenn einer rettungslos labil ist, dann dieser Strasser, physisch bereits nur ein halbes Hemd. Georg Mitterstieler schlägt darstellerische Pfauenräder, irrlichtert zwischen Komödiantentum und Ernst - ein Top-Model auf Apprichs bizarr verdrehtem Laufsteg der seelisch Abgewrackten. Mitterstieler zur Seite agiert ein Ensemble, das hier seine ganze unkonventionelle Spezialität ausspielen kann. Klaus Meiningers Biederkeit beispielsweise und sein Dauer-Staunen über das eigene Talent zur Intrige stehen dem schmierigen Sektvertreter Müller grandios zu Gesicht. Der von Spielschulden gebeutelte Bruder der Baronin (Marcel Bausch) hat sie gegen Christine angezettelt, damit Strasser keine Alimente zahlen muss. Wir werden Zeuge einer gespenstischen Schmieren-Komödie. Gertrud Kohl stürzt ihre Ada in die erlösungslose Leere eines Nervenbündels, lässt sie Hexe und Clown zugleich sein. Sie seufztgurgelt vor Verlangen und brülltwinselt um ihren Machtanspruch, wird von Innen heraus zerfetzt von Unaussprechlichem. Beim primitiven Chauffeur Karl (Andreas Anke) bricht sich das Unterbewusste in einer Rülps-Arie Bahn. Und Merten Schroedter entblößt hinter der Hippie-Fassade des Kellners dessen Faulheit. Ihn lässt Apprich manch absurdes Tänzchen aufführen, auch eine Stummfilm-Szene im Orkan simulieren - wenige zweifelhafte Momente in einer Inszenierung, deren Waghalsigkeit imponiert. Horvàth ohne nostalgischen Schmäh, das kannte man schon. Aber mit einem derart verqueren Humor, das ist neu. Auch irritierend? Das Premieren-Publikum applaudierte mit verhaltener Kraft.

Termine: 20., 24., 28. Januar, Karten: Tel. (0681) 3092 486

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