Die Ausstellung „Kluge Köpfe“ im Zeitungsmuseum Wadgassen

Wadgassen · 1995 rief die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ die originelle und vielfach ausgezeichnete Werbekampagne „Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ ins Leben. Anlässlich des 20. Geburtstags zeigt nun das Zeitungsmuseum in Wadgassen alle 87 Motive in einer Schau.

 Marcel Reich-Ranicki auf einem Schrotthaufen aus TV-Geräten. Die Anzeige erschien 2008 – Reich-Ranicki hatte zuvor den Deutschen Fernsehpreis abgelehnt. Fotos: F.A.Z. GmbH / S&F/ Fotograf Hans Starck

Marcel Reich-Ranicki auf einem Schrotthaufen aus TV-Geräten. Die Anzeige erschien 2008 – Reich-Ranicki hatte zuvor den Deutschen Fernsehpreis abgelehnt. Fotos: F.A.Z. GmbH / S&F/ Fotograf Hans Starck

 Architekt Daniel Libeskind in New York. Beim Bild wurde getrickst, gefährlich war es nicht.

Architekt Daniel Libeskind in New York. Beim Bild wurde getrickst, gefährlich war es nicht.

 Fast unsichtbar: Hinter dem Dunst liest Helmut Schmidt – aufgenommen im Januar 2012.

Fast unsichtbar: Hinter dem Dunst liest Helmut Schmidt – aufgenommen im Januar 2012.

Helmut Schmidt braucht eine Nebelmaschine? Wer hätte das gedacht. Den blauen Dunst, den sich der Fotograf gewünscht hatte, konnte wohl nicht einmal der Ex-Kanzler herbeiqualmen. Das Motiv von Schmidt hinter einer umräucherten Ausgabe der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ist eines von bisher 87 der FAZ-Werbekampagne. Sie zeigt stets eine prominente Person hinter einer aufgeschlagenen FAZ, begleitet von der Zeile "Dahinter steckt immer ein kluger Kopf" und der Namensnennung, die durchaus vonnöten ist - denn das Gesicht des Lesers sieht man nicht.

Die Motive der Kampagne der Berliner Agentur Scholz & Friends, die vor allem der Fotograf Alfred Seiland aufgenommen hat, sind nun komplett im Deutschen Zeitungsmuseum in Wadgassen zu sehen, verteilt auf zwei Stockwerke, geordnet nach den Berufsfeldern der Fotografierten: von Politik und Wirtschaft, Musik, Film/Fernsehen, Kunst, Architektur, Literatur bis hin zu Journalismus und Sport. Hochinteressant ist diese Schau, deren Exponate man sich auf verschiedene Weisen nähern kann - etwa in Form eines Suchspiels. Denn nicht immer sieht man den prominenten Leser auf den ersten Blick, manchmal muss man suchen: Etwa Reinhold Messner , der sich in den Dolomiten fotografieren ließ; seine Zeitung ist nur ein winziges weißes Viereck in einer imposanten Felswand - die Natur ist alles, der Mensch nichts (selbst wenn er die FAZ liest), scheint uns das Bild sagen zu wollen. Die Lesebrille zücken muss man auch bei Ali Mitgutsch , dem Maler der legendären "Wimmelbilderbücher" für Kinder. Er hat eine seiner bunten Szenerien gemalt, mit sich selbst als Zeitungsleser im Getümmel.

Hat man den Zeitungsleser gefunden und liest nicht die Namenszeile, lässt sich trefflich darüber spekulieren, um wen es sich da handelt, denn die Schauplätze sind nicht zufällig. Bei weniger einfallsreichen Motiven wie dem Münchner Olympiastadion oder einem Rennwagen fällt das Raten leichter (es sind Uli Hoeneß und Michael Schumacher), andere Motive aber sind hintergründiger. Wer etwa donnert, mit elefantöser Kraft durch Meereswellen auf einem Schiff, bei dessen Namenszug man "Europe" ausmachen kann? Es ist Helmut Kohl. Welche siebenfache Mutter ließ sich ausgerechnet inmitten von gebärfreudigen Kaninchen ablichten? Ursula von der Leyen, 2007, als sie Familienministerin war. 600 Schafe dienen bei einem anderen FAZ-Leser und Hirten als sinniger Hintergrund: Kardinal Karl Lehmann.

Erstaunlich ist der Aufwand, der für die Kampagne getrieben wird, was Logistik und Reisekosten angeht. Neben den Dolomiten (Messner) führen uns die Bilder unter anderem nach Ägypten, wo Vitali Klitschko neben der Boxernase der Sphinx posiert, und nach Jericho am Jordan - dort liest Albert Mangelsdorff Zeitung, der zwar keine Trompete spielte, die Jerichos Wände zum Einsturen brachten, aber immerhin Posaune. Dieter Hildebrandt suchte sich eine Latrine der Variustherme von Ephesos aus, vielleicht weil er das historische Nebeneinandersitzen und Tratschen auf dem Lokus als frühe Form der Nachrichtenübermittlung ansah? Oder wollte er mit der Wahl des Ortes seine Meinung über die Presse kundtun?

Interessant sind auch die Motive, die sich von den Vorgaben entfernen. Trickfilmfigur Lisa Simpson ist der einzige fiktive FAZ-Leser, und Samy Molcho der einzige Fotografierte, dessen Gesicht gänzlich zu sehen ist - er stellt das Lesen pantomimisch dar, ohne Zeitung. Fotograf Helmut Newton ist der Einzige, der sich selbst aufgenommen hat, nicht überraschend vor seinen nackten und stets etwas einschüchternden weiblichen Modellen. Die empfand vor allem Alice Schwarzer als entwürdigend und hat das auch in ihrem Foto für die FAZ als Reaktion zum Ausdruck gebracht: Sie ließ sich in einer Höhle fotografieren, zusammen mit Steinzeit-Männern.

Bis 21. Juni. Dienstag bis Sonntag, 10 bis 16 Uhr.

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