Große Erwartungen

Venedig · Waren die Erwartungen zu hoch? Fatih Akins „The Cut“, in Cannes vom Regisseur zurückgezogen, hat bei seiner Premiere in Venedig enttäuscht. Die Geschichte einer Odyssee erzählt er allzu konventionell.

 Regisseur Fatih Akin (rechts) und sein Hauptdarsteller Tahar Rahim aus „The Cut“. Fotos: dpa

Regisseur Fatih Akin (rechts) und sein Hauptdarsteller Tahar Rahim aus „The Cut“. Fotos: dpa

 Al Pacino, bestens gelaunt und mit zwei Filmen in Venedig.

Al Pacino, bestens gelaunt und mit zwei Filmen in Venedig.

Schon vor seiner seiner Premiere in Venedig hatte Fatih Akins Film "The Cut" Aufsehen erregt, vor allem in der Türkei. Dass er von dort Drohungen erhielt, scheint den deutsch-türkischen Filmemacher allerdings nicht zu beunruhigen. "Das spricht für die Kunst, und für die Kunst lohnt es sich zu sterben", sagte Akin markig auf der Pressekonferenz zu seinem Venedig-Wettbewerbsbeitrag. Und relativierte das dann. Es handele sich um eine kleine Gruppe, und überhaupt sollte man keine große Sache daraus machen. Warum ihm türkische Nationalisten drohen? "The Cut" thematisiert die Massenmorde an den Armeniern im Osmanischen Reich um 1915/16, die bis heute in der Türkei ein Tabu sind.

Im Film bilden sie letztlich aber nur den Hintergrund: Der junge Schmied Nazaret (Tahar Rahim) wird durch die türkische Gendarmerie von seiner Frau und seinen Zwillingstöchtern getrennt. Nachdem er mit viel Glück die Zwangsarbeit in der Wüste und ein Massaker überlebt, bei dem er durch einen Schnitt in den Hals seine Stimme verliert, beginnt eine Odyssee: nach Syrien und, um seine Töchter wiederzufinden, weiter nach Kuba, durch Florida, hoch nach North Dakota in den USA.

In dieser Mischung aus Western und Drama, die von Menschlichkeit ebenso erzählt wie vom omnipräsenten Bösen, spürt man durchweg Akins Ambition und sieht auch den großen Aufwand. Doch von den Kinomeistern, die er als Vorbilder zitiert, bleibt er weit entfernt: Während Akin das große Ganze im Blick behält, fehlt ihm oft der Sinn für Details und Zwischentöne. In der konventionellen Inszenierung mit vielen Schauplätzen und einer blassen Hauptfigur entwickelt die Geschichte kaum dramatische Wucht. So ist der Abschluss seiner "Liebe, Tod und Teufel"-Trilogie nach "Gegen die Wand" und "Auf der anderen Seite" ein Film, der längst nicht so groß ist, wie er gerne wäre.

Während Akins Beitrag hinter den Erwartungen zurück blieb, schwächelte nach dem starken Auftakt zwar auch manch anderer Film im Wettbewerb. Dafür gab es am Wochenende eine erhöhte Dosis Glanz und Glamour: Charlotte Gainsbourg , Catherine Deneuve und deren Tochter Chiara Mastroianni schritten für das überkonstruierte Liebes-Dreieck "3 coeurs" über den roten Teppich. Und Viggo Mortensen reiste für das Drama "Loin des hommes" an, das sich auf schlichte Weise in die Wirren des Algerien-Krieges begibt.

Es war aber letztlich der doppelte Al Pacino , der das Festival fest in der Hand hatte: Mit Barry Levinsons Philip-Roth-Adaption "The Humbling" und David Gordon Greens "Manglehorn" war die Hollywood-Legende mit gleich zwei Filmen im Programm. Das Altern und die damit zusammenhängenden Verwitterungseffekte spielen in beiden Filmen eine Rolle - genauso wie die Versäumnisse, die manchmal so groß sein können, dass sie einen scheinbar unüberwindbaren Schatten auf die Gegenwart werfen. Der in einem eleganten, tragikomischen Fluss inszenierte "The Humbling" macht das in Form einer Liebesgeschichte zwischen einem alten, depressiven Schauspieler und einer jungen Frau (Greta Gerwig). Im etwas zu süßlichen "Manglehorn" hingegen treibt man einige Zeit mit durch das Leben eines Schlossers, der der großen Liebe seines Lebens auch nach Jahrzehnten noch hinterhertrauert. Pacino beherrscht zwar beide Filme . Wer mit seiner grummeligen Altmänner-zauseligkeit aber nichts anfangen kann, ist aufgeschmissen.

Ob es denn Parallelen gäbe zwischen ihm und den beiden Figuren? "Vielleicht bin depressiv, aber glücklicherweise weiß ich das nicht", sagte der Schauspieler. "Ich bedauere aber nichts und habe viel Glück gehabt." Als junger Mann habe er seine Probleme gehabt, aber in der Schauspielerei schließlich seine Aufgabe gefunden. Noch ist damit nicht Schluss für den 74-Jährigen: "Das Flugzeug ist noch nicht gelandet."

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