Hoch die Tasten!

Saarbrücken · Eine Liebeserklärung an die elek tronische Musik ist das Projekt „Electronica“ von Jean-Michel Jarre: zwei Alben mit Beiträgen von 30 Co-Autoren. Album 1 ist mal fulminant, mal frustrierend.

 Jean-Michel Jarre (67). Sein Elektronik-Album "Oxygène" brachte ihm 1976 den großen Durchbruch. Zuletzt war es etwas ruhiger um ihn. Foto: Mashinskiy

Jean-Michel Jarre (67). Sein Elektronik-Album "Oxygène" brachte ihm 1976 den großen Durchbruch. Zuletzt war es etwas ruhiger um ihn. Foto: Mashinskiy

Foto: Mashinskiy

Eine charmante, nostalgische Idee - und ein großes Unterfangen. Jean-Michel Jarre, der gallische Tastendrücker und Pionier der elektronischen Popmusik ("Equinoxe"), war in den letzten vier Jahren in der ganzen Welt unterwegs. Er traf Kollegen, denen er sich künstlerisch verwandt fühlt, zum Musizieren, Tüfteln, Programmieren. Ungewöhnlich, denn solche Kooperationen werden meist körperlos bewerkstelligt: Man trifft sich nicht, sondern schickt sich Sounddateien hin und her.

Jarre, auch schon 67, jedenfalls reiste umher und nahm für sein Projekt "Electronica" 30 Stücke auf; 16 sind auf Teil eins namens "The time machine" zu hören, mit 15 Kollegen - nur Vince Clarke, einst Kopf von Depeche Mode , heute eine Hälfte von Erasure, durfte zwei Mal an die Computer.

Das Album ist mal fulminant, mal frustrierend. Letzteres etwa, wenn Jarre und dem jeweiligen Kollegen nicht viel mehr einfällt als gängiger Technopop, der ein bisschen von gestern klingt und selbstzufrieden vor sich hin wummert - etwa das Titelstück, zusammen mit dem Hamburger DJ Boys Noize. Glattpoliert, effektiv für die Tanzfläche, aber verblüffend unoriginell. Auch die beiden Stücke mit Vince Clarke pulsieren angenehm, aber überraschungsarm vor sich hin; weit interessanter sind die Nummern mit Kollegen, die man in diesem Kontext nicht erwarten würde: Pete Townshend von The Who raunt und schreit sich durch "Travelator (Part 2)", eine nervöse Nummer mit elefantösem Beat; diese eigenwillige Mischung könnte konservativen The-Who-Puristen an die Nerven gehen, hat aber ihren Reiz. "Zero Gravity", die Zusammenarbeit mit den deutschen Elektronikern Tangerine Dream , taucht ganz ins Sphärische ab: "Chill out"-Klänge, die man aber irgendwie schon einmal gehört zu haben glaubt. Packender ist "Rely on me" mit der US-Musikerin und Performance-Künstlerin Laurie Anderson : Entrückter Sprechgesang, ein knochentrockener Rhythmus und seidige Keyboard-Flächen passen wunderbar zusammen - ein Höhepunkt des Albums.

Jarre scheint im Studio kein dominanter Partner gewesen zu sein, manche Stücke klingen wie ein Solo-Stück des jeweiligen Kollegen, als sei Jarre eher Produzent denn Co-Autor: US-Regisseur John Carpenter, der fast immer die Musik zu seinen Filmen schreibt, erschafft bei "A question of blood" mit einer seiner bewährten Minimal-Melodien die typisch beklemmende Carpenter-Stimmung; "Close your eyes", eine Kooperation mit den französischen Kollegen von Air, klingt mit plüschigem Arrangement und den Vocoder-verzerrten Stimmen wie eine klassische Air-Nummer, nur mit etwas mehr flirrender Elektronik dank Jarre. Ingesamt ein meist interessantes Album, das mit der ungewöhnlichsten Zusammenarbeit endet. Jarre lässt den chinesischen Pianisten Lang Lang improvisieren, während er selbst pulsierende Rhythmen hinzumischt - der mitunter wilde Tastenwirbel muss sich behaupten gegen dunkle Klang-Eruption, Donnergrollen gar - und hat dennoch das letzte Wort beziehungsweise den letzten Ton. Ein ironisches Finale für ein Album, das der elektronischen Musik huldigt.

Jean-Michel Jarre: Electronica 1 - The time machine (Sony ).

Teil 2 folgt im Frühjahr.

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