Eine Saarbrücker Literatur-Tagung sucht „Erregungsmomente“

Saarbrücken · Welche Funktionen haben erotische Szenen in der Literatur der Moderne? Geht es um mehr als Erregung? Diesen Fragen geht eine literaturwissenschaftliche Tagung nach, die heute und morgen in Saarbrücken stattfindet.

Von "feisten Hüften" ist da die Rede, von einem "entzückenden Rücken" und von schwellenden Muskeln, "die nicht nur zum Anschauen, sondern zum Betasten verführen". Formulierungen aus einem angestaubten Erotikroman? Von wegen. In kunsttheoretischen Abhandlungen aus dem 18. Jahrhundert stieß die Saarbrücker Literaturwissenschaftlerin Juliane Blank vor ein paar Jahren auf Ausdrücke, die sie dort nicht vermutet hatte. Autoren wie Johann Joachim Winckelmann bemühten sich noch, ihre sexualisierten Skulpturenbeschreibungen dem Moralkodex der Zeit entsprechend mit Verweisen auf das "Übermenschliche" der dargestellten Gottheiten "auszubalancieren", sagt Blank. "Andere, wie Wilhelm Heinse, stehen zu ihrem erotischen Blick auf Kunst." Blank drängte sich beim Lesen die Frage auf, welche Funktion die unverblümte Erotisierung hat. Geht es allein um Erregung? Immer wieder, sagt sie, habe sie sich diese Frage gestellt, wenn ihr "sinnesfreudige Szenen" in literarischen Werken begegnet seien, die dort zunächst wie Fremdkörper wirkten.

Nun hat die 33-Jährige die Konsequenz gezogen und zusammen mit ihrer Münchner Kollegin Anja Gerigk eine Tagung mit dem Titel "Erregungsmomente" konzipiert, die in Saarbrücken der Frage nach der funktionalen Vielfalt von Erotik in der Literatur nachgeht. Heute und morgen kommen Wissenschaftler aus ganz Europa im Alten Rathaus am Schloss zusammen, um ausgewählte Werke unter die Lupe zu nehmen und zu diskutieren, wie diese vor dem Hintergrund ihres historischen Kontextes Erotik reflektieren oder auch umgekehrt selbst konstruieren.

Im Mittelpunkt stehen dabei nicht jene Erotikromane, die man einem Bonmot zufolge "mit einer Hand liest". Statt Klassiker von Marquis de Sade über Casanova bis zu Sacher-Masoch nehmen Blank und ihre Kollegen Werke der Moderne in den Blick, deren "mehrdeutige, subtilere Ausprägung" von Erotik Fragen aufwerfe, sagt Blank. Bei denen Schlüsselloch-Beobachtung und libidinöses Schwelgen in Wollust und Begierde eben nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen.

Als erste von zwei Orientierungsmarken dient die Epochenschwelle von 1800: Die Macht der Moralinstanz Kirche erhält erste Risse, die sogenannte hohe Literatur wird in ihrer Themenwahl zunehmend freier - "Erotik wird um 1800 literaturfähig", sagt Blank, der Mensch rücke als "sinnliches Wesen" ins Zentrum. Wie etwa bei dem Romantiker E.T.A. Hoffmann. In seiner Märchen-Novelle "Der goldne Topf" erliegt der Jüngling Anselmus der Verführung durch eine Schlange. Verführungsszenen wie diese, oder auch voyeuristische Motive im empfindsamen Briefroman, gehören zu den Themen des heutigen ersten Vortrag-Blocks.

Assoziationen an der Grenze zum Unappetitlichen lösen die Vortragstitel des zweiten Blocks rund um die Epochenschwelle 1900 aus: Um "syphilitische Erregungsmomente" in der Lyrik von Georg Trakl und Gottfried Benn geht es da etwa. Lyrik, die vor dem Hintergrund der aufkommenden Psychoanalyse und des Einzugs medizinischer Diskurse in die Literatur entstand. Ein anderer Vortrag sucht nach der Verbindung von "Fellatio und Gedächtnis" in Paul Celans Gedicht "Benedicta". Den Brückenschlag ins 21. Jahrhundert schafft die dritte Sektion morgen, bei der auch zeitgenössische Bücher wie der von Gewalt- und Inzestdarstellungen durchsetzte NS-Roman "Die Wohlgesinnten" von Jonathan Littell zur Sprache kommen.

Schon ein Blick auf die eingereichten Vorträge mache deutlich, dass bestimmte Funktionen der Erotik immer wieder auftauchten, sagt Blank: Oft gehe es um Identitätsfindung, häufig auch um Grenzüberschreitung. Doch noch sind dies nur erste Eindrücke. Auf ihrer Tagung wollen die 15 Forscher ihre Erkenntnisse nun vertiefen.

Tagung: Heute 9 bis 20 Uhr, Samstag 9.30 bis 13 Uhr im Alten Rathaus am Saarbrücker Schlossplatz. Programm im Internet: jueblank.wordpress.com.



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