Galilei und die Droge Wahrheit: Starke Brecht-Inszenierung in Saarbrücken

Saarbrücken · Ein grandioses Bühnenbild, ein überragender Andreas Anke in der Titelrolle und eine packende Inszenierung sind schon drei gute Gründe, warum dieses „Leben des Galilei“ am Staatstheater höchst sehenswert ist.

 Alles im Rahmen: Sebastian Hannak hat für das „Leben des Galilei“ im Staatstheater ein grandioses Bühnenbild gebaut. Hier mit Vanessa Czapla (Andrea, links), Andreas Anke (Galilei) und Yevgenia Korolov (Frau Sarti).Foto: Björn Hickmann

Alles im Rahmen: Sebastian Hannak hat für das „Leben des Galilei“ im Staatstheater ein grandioses Bühnenbild gebaut. Hier mit Vanessa Czapla (Andrea, links), Andreas Anke (Galilei) und Yevgenia Korolov (Frau Sarti).Foto: Björn Hickmann

Foto: Björn Hickmann

Im Kino läuft ja gerade "Fack ju Göhte 2", also müsste man das hier, was jetzt als erstes Schauspiel der Saison im Großen Haus über die Bühne geht, wohl "Geiler Galileo " betiteln. Nein, keine Bange, Regisseur Martin Nimz degradiert das epische Theater nicht zum Blondinenwitz. Und man hört die Saarbrücker Staatstheaterschauspieler auch noch jede Menge original Brecht-Sätze sagen - von einigen allerdings eher runtergeschnoddert. Sprechkultur? Die gilt leider wohl auch als Ideal von vorgestern. Dennoch hat Dramaturg Holger Schröder auch so manches hinzugedichtet. "Mach' nicht immer den Erklärbär", hält der junge Andrea seinem Lehrmeister Galilei vor, wenn der mal wieder anhebt zu erläutern, wieso Aristoteles ' antikes Denken die Welt eben nicht im Innersten zusammenhält.

Keine Frage, wir sind mit diesem "Leben des Galilei" im 21. Jahrhundert. Und Regisseur Nimz bläst mit ein paar fetten Beats zu Beginn gleich alles an Staubschicht runter, was an Schulpflichtlektüren-Mühen und falscher Brecht-Verehrung auf diesem Stück lastet. Sein "Galileo " wirkt radikal modernisiert. Der findet sich zwischen Pro7-Wissenschaftsshow und der Fragestellung wieder, wie viel Wahrheit ist dem Menschen zumutbar? Und wie viel Wahrheit man wagt, will man damit sein eigenes Wohlleben nicht riskieren.

Vor allem die Bühne von Sebastian Hannak ist ein Wurf. Genial! Ein mehrfach in sich geschachtelter Rahmen ist es; die gesamte Bühnenhöhe und Breite des Großen Hauses füllt er aus. Wobei sich die einzelnen Rechtecke versetzt in die Tiefe schieben lassen, aber auch zur massiven Wand zusammengefahren werden können. Darin spielt das Saarbrücker Ensemble, darin ist es eingepfercht. Symbolisch zeigt sich so auch der Rahmen, den die sich im 16. und 17. Jahrhundert noch allmächtig glaubende Kirche dem Wissenschaftler Galilei ließ: mal mehr, mal kaum noch Gedankenfreiheit. Grandios ist das auch deshalb, weil das Theaterspiel, sonst üblicherweise in der Waagerechten, der Tiefe des Bühnenraumes also, hier in die Senkrechte wandert. Wie ein lebendiges Bild scheint das dann. Überlagert auch durch Projektionen alter Stiche mit Weltmodellen, die der Mensch noch fassen konnte und der Kirche wohlgefällig waren.

Natürlich kann in so einem Umfeld Galilei kein Kopfmensch mehr sein, der von Luft und Geist sich nährt. Dieser Galilei will auch leben, Spaß haben. Wenn er vom Wein redet, schiebt Andreas Anke die nackte Plauze vor, klatscht sich lustvoll auf die Wampe. Und wenn die Mutter Kirche zumindest Teile von Galileis Erkenntnissen bestätigt, dann fühlt der sich nicht nur als die Sonne der Wissenschaft Italiens, dann macht er eben auch Party bis zum Umfallen in Roms besserer Gesellschaft.

Zugleich ist für ihn die Wahrheit Droge. Was er in seinen Forschungen erkennt, das muss er sagen, das muss raus, das muss in die Welt. Auch wenn opportunistische Universitätsvertreter (Marcel Bausch) ihn bedrängen, ihm Freunde, seine zunehmend frömmelnde Tochter Virginia (überzeugend: Lena Sophie Vix) und seine Haushälterin (Yevgenia Korolov) davon abraten, vor den Gefahren warnen, die Lehre der Kirche in Frage zu stellen. Muss er schweigen, lässt Anke seinen Galilei körperliche Qualen leiden. Wie auf Entzug. Andreas Anke macht diese - in vielen Inszenierungen sonst verkopfte, leider auch graue - Gelehrtenfigur zu einem lebensgierigen Menschen. Mit blendendem Verstand und Moral gesegnet, aber auch mit Schwächen behaftet. Darum wird er uns so glaubwürdig. Darum interessieren uns seine Nöte (wieder). Zumal wenn ihm sein Schüler Andrea als zorniges Gewissen im Nacken sitzt - Vanessa Czapla steigert sich zur Wahrheitsfurie, hochenergetisch und mitreißend. Ja, so sieht man diesen Brecht gern, so gar nicht episch, sondern überraschend emotional, so menschlich auch, vor allem aber zwingend aktuell.

Weitere Aufführungen:

30. September und 2. Oktober.

Karten: Tel. (06 81) 3 09 24 86.
Liebe, Du ewig Unergründliche

Joël Pommerats "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" in der Alten Feuerwache

Hochkomisch, tieftraurig, durchweg packend. Am Freitag hatte Joël Pommerats Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" in der Alten Feuerwache in Saarbrücken Premiere. Eine bittersüße Freude.

 Obacht – gleich zerbröselt die Idylle von Braut und Bräutigam (Klaus Müller-Beck, Christiane Motter). Foto: Björn Hickmann

Obacht – gleich zerbröselt die Idylle von Braut und Bräutigam (Klaus Müller-Beck, Christiane Motter). Foto: Björn Hickmann

Foto: Björn Hickmann

Ja, die Liebe, die Unergründliche - ist sie nun tatsächlich eine Himmelsmacht? Oder bloß eine neurochemische Reaktion, wie ein Mann in diesem Stück behauptet (um sich gleich danach Lügen zu strafen)? Dieses Rätsel wird die Menschheit wohl nie lösen, aber Joël Pommerat versucht es. Sein Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" pirscht sich mit knapp 20 Szenen an das Mysterium Liebe heran - nach dieser Expedition weiß man zwar nichts Definitives, aber man hat diese Emotion wie unter einer Lupe eingehend betrachten können - in all ihren Schattierungen, Verästelungen, Widersprüchen und auch Glückseligkeiten.

Acht Schauspieler schickt Regisseur Christopher Haninger in die Arena, die Matthias Werner gleichzeitig schlicht und opulent ausstattet: Golden wie der Geldspeicher Dagobert Ducks glänzt der Boden der Feuerwache, doch da schimmern keine Taler, sondern gülden verpackte Bonbons. Vielleicht eine Parallele zur Liebe (verlockend, aber nicht immer gut für die Gesundheit); in jedem Fall aber ein schöner reduzierter Ort, der den Blick ganz auf das famose Ensemble lenkt.

Pommerats Episoden sind mal humorsaftige Sketche, mal schmerzhafte Miniaturen. Gemeinsam ist ihnen eine trügerische Leichtigkeit. Denn manche Situationen haben durchaus die lockere Komik eines gehobenen Boulevardstücks; aber Pommerat spitzt zu, umgeht das Naheliegende und gewährt seinen in aller Kürze skizzierten Figuren Tiefe. Exemplarisch ist eine Szene, die in eine x-beliebige Komödie passte: Da offenbart sich kurz vor der Hochzeit, dass der Bräutigam nicht nur die Braut in spe (mindestens) geküsst hat, sondern zuvor alle ihrer Schwestern. Das könnte für einen Bühnenjux reichen, Pommerat aber lotet Grundsätzliches wie Vertrauen, Eifersucht, Besitzdenken und Verzeihen aus - und das in wenigen Minuten.

Ähnlich die Szene, in der eine demente Frau jeden Morgen ihren Mann neu kennenlernt, da sie ihn abends stets vergisst. Pommerat bricht die offenkundige Tragik mit Komik, umgeht das drohend Schnulzende und findet zu einem romantischen Bild, das dem Stück seinen Titel gibt: Das einstige Kennenlern fühlte sich an, als ob die beiden Koreas zusammenfänden.

Eine Szene mit einem Priester, der sich verliebt hat und deshalb nicht mehr zu seiner Stammprostituierten geht, die davon tief getroffen ist, hat oberflächlich das Zeug zum (un)gepflegten Herrenwitz - hier wird es zu einem tragikomischen Dialog über Erwartungen, Kompromisse und zeigt die oftmals verblüffende Berechenbarkeit von Männern: Nicht zum letzten Mal an diesem Abend wird ein Mann von einer Frau am Hosenbund über die Bühne geführt.

Streicherklänge von Bo Wiget trennen manchmal die Episoden voneinander und lassen durchatmen, manche Szenen sind hochkomisch, andere tieftraurig: der Dialog eines Paares etwa, deren gemeinsames Leben an der Frage zerschellt, ob man sein Kind widerstandslos in den Krieg ziehen lässt. Der Vater meint ja, die Mutter nein.

Für die Darsteller ist das natürlich eine wonnige Aufgabe: Sie spielen viele verschiedene Figuren ohne Zeit für Entwicklung - in wenigen Sätzen müssen die Figuren plastisch sein. Ob nun ein Paar, das panisch seine Kinder sucht, die es gar nicht gibt (Cino Djavid und Christiane Motter), eine Frau, die ihr Leben vergisst (Gertrud Kohl) und eine Gattin, die sich auf die Scheidung freut, die sie mit ihrem Mann schon vor 15 Jahren vereinbart hat (Saskia Petzold). Klaus Müller-Beck und Heiner Take steigern sich wortreich in die Beschwörung einer Freundschaft, die rabiat endet, während Georg Mitterstieler einen traurigen Auftritt als frisch gehörnter Ehemann hat. Nina Schopka skizziert einige besonders überspannte, angeschlagene Frauen. Ein guter, bittersüßer Theater-Abend. Pommerats scheinbar leichte Lebensbeobachtungen werden lange nachhallen.

Die nächsten Termine: 2., 7., 8., 13., 25. und 30. Oktober.

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