Immer dieser Reißverschluss!

Saarbrücken · Sex in der Literatur? Wenn Schriftsteller das angehen, gibt es für Leser mitunter viel zu lachen. Autor Rainer Moritz hat sich erotische Passagen angeschaut und ein flottes Buch geschrieben, das er nächste Woche in Saarbrücken vorstellt.

James Salter , ein Herr von fast 90 Jahren und ein Star der US-Literatur, fällt zum Sex das Pferd ein. "Sie liebten sich sehr einfach, sehr direkt - sie sah zur Decke, er sah auf die Laken -, beinahe wie Schulkinder. Alles war still, nur der Verkehr war zu hören, fern und weitab und nicht einmal das. Die Stille war überall, und er kam wie ein trinkendes Pferd." So beschreibt der Altmeister einen sexuellen Akt im großen Roman "Alles, was ist". Die phallische Kraft des Hengstes wird gern verglichen mit der männlichen Potenz. Aber was heißt das, dass ein Mann zum Höhepunkt gelangt "wie ein trinkendes Pferd"?

Das "Assoziationsfeld Pferd/Reitsport" sei in der Literatur, wenn sie Sex schildert, häufig anzutreffen, erklärt Rainer Moritz. Der Leiter des Literaturhauses Hamburg und Autor vieler Publikationen bedenkt das Animalische in den Beschreibungen in einem eigenen Kapitel. Da gibt es einen Helden "rammelnd wie ein Affe" (Ralf Rothmann ), ein masturbierendes "Täubchen" (Peter Henning), da erscheint ein weiblicher Schoß "wie ein sterbender Fisch mit der Schwanzflosse" (Else Buschheuer ) oder stellt sich eine Frau einem Mann zur Verfügung "praktisch wie eine Kuh auf der Weide" (Barbara Sichtermann). Moritz These: Es ist leichter, "einen menschenleeren Strand, ein abstoßendes Einkaufscenter oder einen blutrünstigen Mordfall zu beschreiben als den sexuellen Akt". Und woran liegt das? Moritz stellt Vermutungen an. Fast alle Autoren beiderlei Geschlechts sind am Thema außerordentlich interessiert; aber es ist "auffällig, wie oft Schriftsteller hinter ihren Möglichkeiten zurück bleiben, wie sie Fragen der Technik nicht zu lösen verstehen, sobald es um die Beschreibung von sexuellen Praktiken geht, ja, wie sie dabei jämmerlich versagen". Darüber gibt es hier viel zu lachen.

Eine adäquate Sprache zu finden für ein körperliches Geschehen, von Erregung und Gier ausgelöst, scheint fast unmöglich. Es bleibt nur Komik oder Vulgarität. Max Frisch erkannte: "Wenn ich selbst darüber schreibe, neige ich zu einer verblümten Redeweise, ganz merkwürdig." Darum haben er und Zeitgenossen wie Alfred Andersch , Ingeborg Bachmann , Ilse Aichinger , Wolfgang Koeppen , Heinrich Böll oder Siegfried Lenz es meist bei Andeutungen belassen - also Blümchensex. In unserer Zeit fühlen sich die meisten Autoren genötigt, deftiger darüber zu schreiben. Doch: "Zu behaupten, dass die Sexualisierung der Literatur eine bessere Literatur hervorgebracht habe, ist freilich zweifelhaft", sagt Moritz.

Seine "Stellen"-Sicht bringt zwischen den Polen Furor und Kitsch Beachtliches hervor. Begriffe wie tasten, gleiten, reiben, bohren, reißen oder zerren belegen eine enorme Unwissenheit der menschlichen Anatomie. Deshalb die Ausflüge ins Animalische, Botanische oder Kulinarische, vom Autor witzig aufbereitet. Zunge und Penis sind eine "blutgeschwollene Muskelmasse", von "Penisgrößenüberschätzung" ist die Rede oder von "überschaubarer Erregung" und "nachkoitaler Traurigkeit". Da wird an Gürtelschnallen "operiert", schnalzen BH-Träger, sind Unterhosen ausgeleiert und erst der Reißverschluss, immer dieser Reißverschluss! Moritz ist entsetzt über die Autoren: "Warum gleiten sie ins unoriginell Schlüpfrige oder unfreiwillig Komische ab?" Seine Antwort: Weil "alles, was mit dem Sexual-Akt zusammenhängt, weiterhin schambesetzt ist". Und das in Zeiten des Bestsellers "Fifty Shades of Grey"? Der Autor Simon Borowiak, der zuvor eine Simone war, weiß darauf eine Antwort: "Das eigentlich Spannende an Sex ist, meiner Meinung nach, alles, was davor und danach passiert." Aber was soll das nun wieder heißen?

Rainer Moritz: Wer hat den schlechtesten Sex ?, DVA, 240 Seiten, 17,99 Euro. Auf Einladung der Buchhandlung Raueiser stellt Rainer Moritz sein Buch am Mittwoch, 15. April, ab 19.30 Uhr im Domicil Leidinger vor. Karten und Infos:

Tel. (06 81) 932 70.

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