Ein Nachlass sät Zwietracht

Saarbrücken · Über 200 seiner Autoren-Porträts, so war es der Wunsch des 2012 verstorbenen Malers Georg Cadora, sollten im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich sein. Nachdem die Bilder in Folge eines Konflikts zwischen dem Archiv und dem Literaturverein Melusine zeitweise aus Dudweiler verschwanden, sind sie dort nun wieder zu finden. Doch wie lange noch?

 Arthur Rimbaud, gezeichnet von Georg Cadora. Foto: SZ

Arthur Rimbaud, gezeichnet von Georg Cadora. Foto: SZ

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Den Leiter des Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass, Sikander Singh, und den saarländischen Literaturverein Melusine verbindet nicht sonderlich viel. Genauer gesagt: nicht mehr. Singh und die Spitze der einst unter Singhs Vorgänger Günter Scholdt als Archiv-Förderverein gegründeten Melusine sind sich seit dem konfliktträchtigen Leitungswechsel im Dudweiler Archiv 2011 in herzlicher Abneigung zugetan. Ein Zustand, der eigentlich längst keinem mehr wehtut. Die beiden Parteien meiden sich, man geht getrennte Wege: Singh und sein Team mit ambitionierten Projekten und erfolgreichen Veranstaltungen, Melusine als Archiv-unabhängige literarische Gesellschaft mit reger Vereinstätigkeit für seine 200 Mitglieder.

Allerdings gibt es seit Jahren einen letzten Berührungspunkt, der zu einer ebenso verfahrenen wie bizarren Situation geführt hat. Dabei geht es um eine Sammlung von über 200 Schriftsteller-Porträts des 2012 verstorbenen Malers Georg Cadora, darunter Porträts einer Reihe saarländischer Autoren.

Die SZ berichtete im Mai über die Hintergründe des Falls: Cadora stellte die Bilder 2009 dem damaligen Archivleiter Günter Scholdt, mit dem er befreundet war, und dessen Verein zur Verfügung. Mit einer Auflage: Sie müssen im Archiv "der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich" sein. Besiegelt wurde die Schenkung durch einen Vertrag, den Cadora nicht mit der Universität des Saarlandes als Archiv-Trägerin, sondern mit Melusine als Archiv-Förderverein abschloss - der Ursprung aller späteren Streitigkeiten: Als 2011 der Konflikt zwischen Melusine und dem Archiv eskalierte, gerieten die Bilder zwischen die Fronten. Mit der Folge, dass Vereins-Mitglieder die Sammlung 2012 aus dem Archiv holten und an unbekanntem Ort verwahrten. Ein Verstoß gegen den Schenkungsvertrag, über dessen Gründe bis heute die Meinungen auseinander gehen: Die Vereinsspitze unter dem Vorsitzenden Harro Salm betont, von Singh zu der Aktion gedrängt worden zu sein, Singh weist dies zurück.

Wie auch immer - es ist ohnehin mittlerweile "Schnee von gestern", wie es Salm formuliert. Denn nachdem sich die Maler-Witwe Christa Cadora vor einigen Wochen an die Öffentlichkeit gewandt hatte, kam Bewegung in die Sache. In einem Schreiben, aus dem die SZ zitierte, forderte die Witwe den Verein auf, die Bilder zurück ins Archiv zu bringen, andernfalls leite sie juristische Schritte ein. Der Umgang mit dem Erbe ihres Mannes sei empörend.

Zur Rückgabe der Bilder kam es tatsächlich - am 24. Juni. Die Bilder seien in Anwesenheit eines Mediators übergeben worden, bestätigen sowohl Singh als auch Salm . Mittlerweile hängt ein Teil der Sammlung auch wieder an den Wänden.

Schenkungsvertrag erfüllt, alles gut - könnte man meinen. Doch die Geschichte nimmt zunehmend Züge einer Posse an: Christa Cadora, die bereits im Mai angekündigt hatte, gegen Melusine zu klagen, um die Bilder zunächst zurückzuerhalten und sie dann dem Archiv mit einem "richtigen Schenkungsvertrag" teilweise wieder zu überlassen, fühlt sich nun offenbar auch vom Archiv im Stich gelassen. Der Grund: Die Witwe geht davon aus, dass die Sammlung nicht vollständig zurückgegeben wurde. Eine Vermutung, für die es laut Singh allerdings "keinerlei Anhaltspunkte" gibt. Er habe Verständnis für Cadoras Misstrauen, sagt Singh, "aber alle Bilder, die 2012 das Haus verlassen haben, sind wieder da." Mittlerweile, so der Archivleiter, habe er einiges an Kosten in die Pflege, Zählung und Hängung der Bilder fließen lassen, umso mehr ärgern ihn Cadoras jüngste Einlassungen. Aus Singhs Sicht ist der Knackpunkt der ursprüngliche Schenkungsvertrag mit Melusine, der - anders als üblich - keinerlei Hinweis auf den genauen Umfang der Sammlung enthält.

Christa Cadora bleibt bei ihrer Ansicht. Ihr Mann habe von ein und demselben Motiv mehrere Bilder gemalt, argumentiert sie, offenbar sei aber nur jeweils ein Original zurückgekommen. Sie will die Bilder nun ganz aus dem Saarland holen. "Menschen bar jeglichen Kunstverstandes" veranstalteten "aus reiner Besitzgier ein Tauziehen um die Bilder", schreibt sie der SZ und kündigt erneut eine gerichtliche Klärung der Besitzverhältnisse an.

Einem Prozess sehe er gelassen entgegen, sagt Harro Salm . In jedem Fall halte Melusine am Schenkungsvertrag fest: "Es ist unser Besitz." Tatsächlich scheint ein Richterspruch der wohl einzige Ausweg aus der verfahrenen Situation zu sein.

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