Ode an Udo

Saarbrücken · Als der Schlagersänger Udo Jürgens vor knapp einem Jahr starb, begann der Schriftsteller Andreas Maier darüber nachzudenken, wieso Jürgens für seine Generation eine Lebenskonstante war. Nun gibt er in einem lesenswerten Buch Antworten.

 Am 21. 12. 2014 mit 81 Jahren gestorben: Udo Jürgens. Andreas Maier widmet ihm ein romanhaftes Bekennerschreiben. Foto: Lindner

Am 21. 12. 2014 mit 81 Jahren gestorben: Udo Jürgens. Andreas Maier widmet ihm ein romanhaftes Bekennerschreiben. Foto: Lindner

Foto: Lindner

Der Pfahl im Wind, doch unangreifbar wie der Luftgeist Ariel: Das war Udo Jürgens . Für Andreas Maier jedenfalls. Maier fährt viel auf, in der Hoffnung, dass wir ihm folgen können in dieser verklärenden Zuneigung, zu der er erst spät gefunden hat - als der Sänger schon in seinem 76. Jahr war. Als vielfach mit Preisen dekorierter Autor des Jahrgangs 1967, Doktor der Philosophie und imponierender Schreibarchäologe seiner Herkunft aus der hessischen Wetterau muss Maier nichts mehr beweisen.

Wie einer zwischen Blauem Bock und Friedensbewegung zum Mann wurde, hat er detailscharf in die Prosa seiner sogenannten Ortsumgehungen gegossen und in mehreren Romanen plausibel gemacht. Wie einer in Zeiten des Kalten Krieges - dort Gagarin, hier Ivan Rebroff - qua Geburt auf der richtigen Seite stand; wie er eine Musiksozialisation von ZZ Top bis Pink Floyd passend zu seiner Generation durchlief; wie er las und erste Identifikationshelden fand; wie Dostojewski, Proust, Loriot und Hannes Wader etwas freischaufelten in seiner Person; wie er dann nicht mehr jeder Mode nachrennen musste, weil er seine inneren Konzentrationspunkte gefunden hatte; wie er sich in Frankfurt zwischen Apfelwein- und Suhrkampkultur verortete - das alles ist in seinem neuen Udo-Jürgens-Roman wieder zu finden, denn Maier redet von sich, wenn er von Udo Jürgens redet.

Doch warum tut er es überhaupt? Ganz simpel: Weil er in Udo "das außergewöhnlichste Kulturphänomen der letzten Jahrzehnte" gefunden hat. Dann hieß es am 21. Dezember 2014: "Er ist tot." Einfach so, mit 81. Die Nachricht erreichte Maier um 18.11 Uhr per Handy mitten beim Weihnachtshineinfeiern in der Kneipe und hinterließ ihn verwundet. Da hatte einer doch nicht die Heesters-Variante gewählt, sondern den Abtritt ohne Verzug, dem im Popgenre nur 27 Lebensjahre vorausgehen müssen (Janis Joplin , Kurt Cobain , Amy Winehouse ). Da war einer vorm Altwerden gestorben, der immer dazugehört hatte, der schlicht, dezent und elegant Cäsarenhaftes leistete, der einen Weg hinaus wies aus der "Harz-4-NSA-Pegida-Grexit-Blatter-Zeit" in eine, "als man noch regelmäßig Sportcoupé mit zwei Damen im Arm fuhr". Wen die Götter lieben, den holen sie früher? "Auch Jesus Christus hat sich das Altern erspart. Möglicherweise fing der ganze Jugendwahn ja mit ihm an", schreibt Maier.

Wie auch immer, Andreas Maier wusste mit einem Schlag, dass nun die Welt wieder zersplittert war und der Rest seines Lebens begann. In den startete er ein Jahr lang mit zwei Udo-Jürgens-Kolumnen pro Monat für das Logbuch seines Verlages. Diese nun gesammelt zu lesen, bereitet großes Vergnügen und verhilft zu mancher Erkenntnis, von denen bei Weitem nicht alle ironisch gebrochen sind. Zum Glück hatte Nina, die Lehrerin aus dem Gießener Raum, gerade noch rechtzeitig begonnen, ihn mitzunehmen in die Konzerte, wo alle mit diesem komplett beruhigten Lächeln stehen, vorher besser Apfelwein genossen haben, damit inmitten dieser radikalen Emotionalität das Heulen leichter fällt.

Maier weiß, dass diese Musik peinlich wäre bei anderen Interpreten, dass sie Erfahrungsstufen beim Rezipienten voraussetzt, weil es sonst nur Mitgrölen ergibt, und dass auch deshalb bisher nur wenige das Phänomen schreibend einzufangen versuchten. Aber er weiß vom eigenen Leib: "Nicht nur die Kirche kann verwandeln." Vom Papst bis zu Hitler gilt das Muster, dass welche vorn stehen und ihnen hinten im Saal geglaubt wird. Bei Udo Jürgens gilt das anders, weil er anti-institutionell ist, weil er weiland schon als Zeitgenosse von Mr. Spock im Raumschiff Enterprise sich nicht für irgendwelche utopischen Zusammenlebeformen interessiert hätte, sondern für die Kurzrockdamen an Bord, weil er den Moment feierte in immer sinnentleerteren Maximen, weil er auf der besseren Seite des Stammtischs saß.

Also widmet Maier ihm, vergleichbar nur Navid Kermanis Neil-Young-Hingabe aus dem Jahr 2002, ein offen offensives Konglomerat der Annäherungen vom Interview bis zur Reportage, von der Stoffsammlung bis zur Nabelschau. Ein Buch, in das er mitten hinein eine mit geschliffenem wissenschaftlichen Besteck angefertigte dreiteilige Interpretation von "Merci Chérie" platziert, aus der evident wird, warum der Song nicht "Danke, mein Schatz" heißen konnte. Und warum sich Sängerinnen wie Helene Fischer daran aus Prinzip verheben müssen. Zu solchem Ende bringt Maier von Wagners Lohengrin-Vorspiel bis zum Wanderermotiv der Romantik alles in Stellung, um Dank, Trost und Ermunterung durchzuspielen. Wie auch immer, es geht um tiefere Schichten, will man Udo und was er mit uns tut, begreifen. Maier hat einen Anfang gemacht mit seinem Bekennerschreiben.

Andreas Maier : Mein Jahr ohne Udo Jürgens . Suhrkamp. 218 Seiten, 17,95 €

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