„Ich drehe mich um und zurück“

Saarbrücken · Die Wissenschaft war für Klaus Martens immer nur eine Facette des Lebens. Seit seiner Emeritierung 2009 ist der Amerikanist wieder zweierlei: Übersetzer und „Lust-Lyriker“. Kurz vor seinem 70. Geburtstag widmet das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass Martens eine Schau.

 Der Schreibtisch des Dichters, aufgenommen 1972 in New Haven/Connecticut, wo Martens als Doktorand forschte. Fotos: Lit.-Archiv

Der Schreibtisch des Dichters, aufgenommen 1972 in New Haven/Connecticut, wo Martens als Doktorand forschte. Fotos: Lit.-Archiv

 Klaus Martens in den 1970er-Jahren (oben) und heute.

Klaus Martens in den 1970er-Jahren (oben) und heute.

Sein Ton mag wehmütiger, der Blick auf das Leben, dieses "verzweifelt einzige Leben" melancholischer geworden sein. Was den Reichtum an Bildern, die schnörkellose Ästhetik angeht, so haben Klaus Martens' Gedichte nichts an Intensität eingebüßt. Man kann es Lyrik ohne Netz und doppelten Boden nennen, die Spiegelung von Seelenzuständen. Mit "Siebenachtel Leben" hat Martens gerade so etwas wie eine kleine poetische Lebensbilanz vorgelegt, ungeschützt, persönlich, ein Rückblick auf den "Sommer meines Lebens", das Reisen, das Schreiben, die Liebe zur Natur.

Am 7. September wird der Dichter, Übersetzer und emeritierte Saarbrücker Professor für Nordamerikanische Literatur und Kultur 70 Jahre alt. Das Literaturarchiv in Dudweiler widmet ihm derzeit eine Schau, die sich ganz auf sein künstlerisches Wirken konzentriert. Was nachvollziehbar ist, zumal Martens, vom Regulierungswahn der Bologna-Reformen abgestoßen, ein zunehmend ambivalentes Verhältnis zum akademischen Umfeld pflegte. Doch findet man in der Schau selbst auch Hinweise, dass sich für ihn "kritische und kreative Tätigkeit" nicht trennen ließen: "Ich finde", schreibt er an einer Stelle, "dass sie sich gegenseitig ebenso bestimmen wie Leben und Arbeit. Das soll nicht heißen, meine Gedichte seien poetologisch oder gar akademisch - aber Informiertheit und Kenntnis der internationalen Tradition halte ich nicht für schädlich, sondern für eine Herausforderung".

Geboren 1944 im niedersächsischen Kirchdorf , aufgewachsen in Bremen, gehört Martens der "68er-Generation" an. Schon als Schüler beginnt er zu schreiben. Als sich 1965 der junge Rowohlt-Lektor Peter Rühmkorf auf die Suche nach der "literarischen Untergrundflora" der Republik begibt, wird er auch bei Martens fündig: In der Ausstellung ist ein vergilbtes Exemplar der "Primanerlyrik" zu finden. Darin Martens erstes Gedicht, "Streiflicht".

Die "wilden Jahre" verbringt Martens in Göttingen, wo er Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert. In den 70ern und 80ern legt er den Grundstein für die Wissenschafts-Karriere: Er promoviert über Wallace Stevens , arbeitet parallel als Gymnasiallehrer. Immer wieder reist er für längere Zeit in sein "Lieblingsland", die USA, unterrichtet in Portland (Oregon), forscht in Harvard und Yale. In Deutschland lehrt er in Münster und Kassel, bevor er 1990 an die Saar-Uni berufen wird.

Martens erster, 1984 bei der DVA erschienener Lyrikband "Heimliche Zeiten" polarisiert. Für FAZ sind die Gedichte "allenfalls poetische Notiz", der "Stern" dagegen kürt das hoffnungsvolle "Wenigstens" zum "Gedicht der Woche" (ja, so etwas gab es damals noch). Auch wenn die öffentliche Meinung auseinandergeht: Martens wird wahrgenommen. Seine Gedichte erscheinen nun in der renommierten Zeitschrift "Akzente" und in weiteren eigenen Bänden. Viele drehen sich um Freiheit und bürgerliche Enge, um Identitätsfragen, Heimat und Fremde. Ihr Ton ist mal lakonisch, mal sehnsuchtsvoll, nie zynisch, immer auf eine Art warmherzig. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl - etwa das Manuskript des Großgedichts "Eine Fähre", das auf der realen Geschichte der Weserfähre "MS Gröpeln" basiert, die nach Nicaragua verschenkt wurde und dort zwischen die Fronten des Bürgerkriegs geriet - für Martens Ausgangspunkt einer assoziativen, um das Leben auf den Bremer Werften kreisenden Gedankenreise.

Gerne hätte man in der Schau noch mehr erfahren über den Übersetzer Martens, der Dylan Thomas, Edgar Allan Poe , Elizabeth Bishop, Derek Walcott, Wallace Stevens und andere ins Deutsche übertrug. Leider bleibt der Aspekt unterbelichtet - ebenso die spannende Frage, wie es Martens als Nicht-Doppelsprachler gelingt, so leichtfüßig zwischen den Welten und Sprachen zu wechseln.

Gut dokumentiert dagegen ist sein lyrisches Spätwerk, das Rückblick ("Ich drehe mich um und zurück und sehe / den Abgrund von Jahren, fast zeugnislos") und Ausblick zugleich ist. In dem immer wieder der tiefsitzende Wunsch jedes Künstlers durchscheint, verstanden zu werden. Da heißt es: "Dein Beruf sei ehrbar - / Bänker, Autohändler, Zahnarzt. / Aber Dichter, gar Lyriker? /Ach nein, geh mir doch!" Zum Glück, muss man zu seinem 70. konzedieren, hat Martens keinen dieser "ehrbaren" Berufe ergriffen. Der Welt wäre ein versierter Übersetzer und sensibler Lyriker verloren gegangen.

Läuft bis 7. September im Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass in Dudweiler (Beethovenstraße Zeile 6).

Wo bin ich

Wer ich bin? Viele Antworten.

Fragen Sie nur viele,

aber fragen Sie nicht mich.

Wo bin ich? Nicht wo ich meine.

Wer mich erwartet, weiß es nicht.

Für jeden, der mich zu kennen glaubt,

bin ich wohl ähnlich wie er

oder hab die Ehre des Feindes.

Ich kann nicht dafür - bin wie Moses

im Roten Meer. Alles teilt

sich um mich, ohne mein Tun.

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