Musikalische Weltreise zum Zuckerhut

Nancy · Mit einem Weltmusik-Spektakel endeten am Wochenende die Nancy Jazz Pulsations. Brasiliens Bossa-Nova-Star Star Gilberto Gil lockte so viele Zuschauer an, dass das Veranstaltungs-Zelt Chapiteau aus allen Nähten platze.

Die Ovationen erfolgten stehend. Mussten sie auch, denn für das große Finale der Nancy Jazz Pulsations (NJP) war die Bestuhlung aus dem Parkett des Chapiteau entfernt worden. Trotzdem konnte das Zelt nicht all die herbeigeeilten Musikfreunde fassen. Menschentrauben vor den Eingängen, jeder wollte möglichst viel vom Weltmusik-Spektakel zum Zapfenstreich der NJP erhaschen.

Grund für den Ansturm war wohl vor allem er: Gilberto Gil , Ikone der Latin Music und "The Voice of Brazil". Ein 72 Jahre gelebtes Leben, das ihn als Politiker zu Bedeutung und als Musiker zu Ruhm getragen hat, mag Kraft gekostet haben. Von Müdigkeit offenbart der weißhaarige Grande Senhor des Bossa Nova jedoch keine Spur. Wie er über die Länge eines Fußballspiels ganz allein sein Publikum mit der Kraft, der Aura und der Sinnlichkeit seiner Stimme und dem markanten Gitarrenspiel betörte, war grandios.

Im Programm des Finalabends spiegelte sich das ganze Festival: Zweimal Pop-Fusion, einmal Ethno Jazz aus dem Libanon (Ibrahim Maalouf) und der charismatische Gilberto Gil . Seit Patrick Kader in Nancy das Programm verantwortet (immerhin seit 1979), haben sich die Pulsations vom Jazzfestival zum Multi-Kulti-Spektakel gewandelt. Auf diesem Umschlagplatz globaler Sounds ist der Jazz schon lange nicht mehr der Verkaufsschlager. Den Jüngern der reinen Jazz-Lehre weist man die kleineren Bühnen zu. Jazzfreunde kommen trotzdem auf ihre Kosten.

Auch bei der Neuauflage des Festivals gab es musikalische Souvenirs von hohem Erinnerungswert. Nicht wenige dürften den Auftritt von Stefano Di Battista und Sylvain Luc als den Pulsations-Knüller empfunden haben. Der spektakuläre Gitarrist Sylvain Luc, ein Mann mit Zauberhänden, und Di Battista als kongenialer Partner und superber Klangmaler mit singendem Altsaxofon, brannten mit ihrem Quartett ein opulentes Klangfeuerwerk ab. Mit Virtuosität sind die Musiker reichlich gesegnet. Instrumentale Meisterschaft entglitt aber nie zum eitlen Schaulaufen, sondern diente stets dem musikalischen Zweck.

Auf vergleichbarem Niveau musizierte André Manoukian mit seinem Quartett. Der französische Pianist, Arrangeur und Komponist nutzt seine armenischen Wurzeln als Quelle der Inspiration. Wie leichthändig und vor allem wie stilistisch stringent Manoukian Versatzstücke armenischer und albanischer Folklore mit Ausdrucksmitteln des Jazz westlicher Provenienz verwob, das machte Lust auf mehr.

André Manoukians origineller Personalstil prallte an diesem Abend auf ein Stück authentischer Jazz-Geschichte: Punktgenau zum 95. Geburtstag Art Blakeys rührten sechs seiner ehemaligen Weggefährten einen feurigen Cocktail mit viel Hardbop an. Ralph Peterson und fünf frühere Jazz-Messengers beschworen den Geist einer Epoche: Bobby Timmons' "Moanin'" wie vor 50 Jahren - herrlich.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort