Mit Kirsch-Aroma

Saarbrücken. Grandios sei Philippe Quesne, hörte man von Perspectives-Chefin Sylvie Hamard. Seit der Premiere von "L'Effet de Serge" in der Saarbrücker Buswerkstatt grübeln wir nun, ob uns Sensoren fehlen für diese Art unspektakulärer Genialität

Saarbrücken. Grandios sei Philippe Quesne, hörte man von Perspectives-Chefin Sylvie Hamard. Seit der Premiere von "L'Effet de Serge" in der Saarbrücker Buswerkstatt grübeln wir nun, ob uns Sensoren fehlen für diese Art unspektakulärer Genialität. Sicher, diese hinterfotzige Studie Quesnes über Leben und Theater als peinliche Wurstelei besitzt alle Meriten eines höheren Juxes. Andererseits lässt sich eine gewisse Transusigkeit des in zäher Echtzeit abrollenden vorhersehbaren Geschehens nicht leugnen.

Willkommen im anti-illusionistischen Anti-Helden-Theater: Wir sind zu Gast im spartanisch eingerichteten Appartement von Single Serge (Gaetan Vourc'h). Der schaut viel fern, isst Pizza und spielt mit sich selbst Pingpong. Bis unbeholfen wirkende Besucher vorbeikommen, mal mit Hund, mal im Auto, das hinter der gläsernen Balkontür heranrollt. Es sind Laiendarsteller, die Zuschauer spielen für Serges technische Vorführungen. Alles wirkt unpoliert, improvisiert. Der schüchterne Hobbybastler Serge, der sich schon mal die Nase stößt, lässt zu Händel-Musik ein ferngesteuertes Gefährt mit Leucht-Kerze herumdüsen, zu John-Cage-Kompositionen die Laser tanzen oder zu Wagners "Walküre" die Autoscheinwerfer blinken. Einfachste Bühnen-"Effekte", die Serge - ganz nach Clowns-Manier - als Sensationen zelebriert.  Was die Besucher, die eher murmeln denn sprechen, mit Gesten höchster Bewunderung quittieren.

 

Tatenarm und gedankenvoll

 

Im Vergleich dazu entwickelt der Humor in der 35-Minuten-Performance "Death is certain" eine raffinierte Grimmigkeit. Jawohl: Der Tod ist den 40 Kirschen in der "Sparte 4" gewiss. Akkurat aufgereiht liegen sie auf einem weiß abgedeckten Medizin-Tisch, neben ihren ebenfalls soldatisch geordneten unzähligen Todes-Instrumenten: Gipsmasse und Strohrum, Reißzwecken und Rasierklingen, Bohrmaschine und Bügeleisen. Die weiß beschürzte Irina Müller bedeutet den Zuschauern, näher an den zweiten Tisch zu kommen. Sie sollen genau hinschauen, wenn der rote Saft spritzt wie Blut. Für jede einzelne Kirsche hat diese Generalissima des Todes ein individuelles Sterben parat. In zackigem Tempo wird gevierteilt, vergiftet, zermalmt, in Würfelzucker eingemauert oder durch die Parmesanreibe gedreht. Jeder Hollywood-Horror-Streifen-Produzent könnte sich hier noch ein paar Inspirationen holen. Denn es wäre doch zu simpel, ein Früchtchen mit Dart-Pfeilen an der Wand zu erledigen. Also schickt die Todes-Spezialistin ihr Opfer zuerst noch mit einem Luftballon auf eine himmlisch schöne Reise - bevor sie das Luftschiff abknallt.

Es ist ein immens kindlicher Einfallsreichtum, der dem Gemetzel jede Unappetitlichkeit nimmt und Bestürzung durch Heiterkeit abfedert. Warum mitleiden? Ist der Tod doch ein schlichtes, wenn auch filigranes und perfides Handwerk, ein Routine-Fall.

Kühn, cool und keck kommt dieses Stück der Berliner Choreografin Eva Meyer-Keller daher - ein bestechender Programmpunkt in einem kontrastreichen Wochenend-Mix. Der bot noch Abstecher zum rauen Trucker-Alltag ("Cargo Sofia") und zum kunstvoll-virtuosen Marionettentheater ("Les Fourberies de Scapin"). Über beides mehr in der morgigen Ausgabe.

Bis 21. Juni. Karten/Infos: Tel. (0681) 30 14 03 83. www.festival-perspectives.de

 

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