Zurück ins pralle Leben

Hamburg · Die Nachwuchsausstellung „Gute Aussichten“ im Haus der Photographie der Hamburger Deichtorhallen versammelt acht prämierte junge Fotografen: L'art pour l'art ist offenbar out. Im Trend liegt eindeutig wieder die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Realitäten.

 Nur auf den ersten Blick ein Traumstrand: Foto aus einem ungewöhnlichen Reisetagebuch über Hispaniola. Foto: Jannis Schulze

Nur auf den ersten Blick ein Traumstrand: Foto aus einem ungewöhnlichen Reisetagebuch über Hispaniola. Foto: Jannis Schulze

Foto: Jannis Schulze
 Einblicke in eine isolierte Welt: Der Künstler Kolja Warnecke begleitete eine sehr zurückgezogen lebende Frau. Foto: Kolja Warnecke

Einblicke in eine isolierte Welt: Der Künstler Kolja Warnecke begleitete eine sehr zurückgezogen lebende Frau. Foto: Kolja Warnecke

Foto: Kolja Warnecke

Das pralle Leben statt Rückzug in den Elfenbeinturm - so scheint der Trend des diesjährigen Nachwuchs-Fotowettbewerbs "Gute Aussichten. Junge deutsche Fotografie " zu sein. Im elften Jahr gab es 115 Einsendungen von 40 Hochschulen, aus denen eine Jury mit dem britischen Fotokünstler Paul Graham als prominenter Gast acht Preisträger zwischen 26 und 35 Jahren auswählte. "Gute Aussichten"-Initiatorin Josefine Raab hat beoachtet, "dass die knallharte Realität und Brutalität des Alltags vermehrt in die Fotoarbeiten einfließen, wobei es mehr um persönliche Erfahrungen als um einen sensationalistischen Ansatz geht. Es sind Fotos, die jeden betreffen."

Ein ganz aktuelles Thema greift etwa der in Russland geborene Eduard Zent auf. Für seine Serie "Modern Tradition" fotografierte er Einwanderer in ihrer traditionellen Tracht vor einem schwarzen Hintergrund à la Goya. Zunächst wirken die Aufnahmen vollkommen zeitlos, dann aber entdeckt man kleine Requisiten aus dem westlichen Kulturkreis. Ein Mongole etwa präsentiert sich mit traditioneller Pferdegeige und orangefarbenen Kopfhörern. Eduard Zent: "Ich verbildliche den kulturellen Spagat, den die Personen täglich bewältigen müssen."

Andrea Grützner hingegen fotografierte über drei Jahre hinweg in der historischen Schankwirtschaft ihres sächsischen Heimatdorfes. Statt klischeehafter Thekenszenen zeigt sie abstrahierte Details von Treppenaufgängen, Lampen, Geländern und Türen, die sie aus gewagten Perspektiven mit farbigen Blitzen fotografiert hat. Durch diese Verfremdungen gelingt es ihr, oft übersehene Zwischenräume effektvoll in den Fokus zu rücken, ohne dafür in die digitale Trickkiste zu greifen.

Auf Spurensuche begab sich auch Marvin Hüttermann. Für seine Serie "Es ist nicht so gewesen" fotografierte er kleine Stillleben in den Wohnungen von Verstorbenen, Szenen im Bestattungsinstitut und im Krematorium. Entstanden sind intime Bilder zwischen Trauer, kühler Beobachtung und Voy-eurismus. Karolin Back zeigt in ihrer Videoinstallation "Was ist eine Sekunde, wenn neben ihr die Welt steht?" das Matterhorn in seiner ganzen Monumentalität. Was verbirgt sich hinter der Erhabenheit dieses weltberühmten Berges? Mit bewegten Bildern arbeitet auch Stefanie Schroeder. In ihrem Film "Ein Bild abgeben" dokumentiert sie banale Handlungsanweisungen für studentische Promotionjobs, die sie ausgeübt hat. Das Medium Foto setzt sie dabei in den absurdesten Anwendungsformen ein.

Katharina Fricke hat Bewohner des Bielefelder Stadtteils Sennestadt gebeten, ihre täglichen Wege aufzuschreiben. Ausgewählte Wegmarken hat sie daraufhin fotografiert. Heraus kamen individuelle Strukturen der in den 1950-er Jahren entstandenen Großwohnsiedlung.

Der Hamburger Kolja Warnecke begleitete ein halbes Jahr lang eine zurückgezogen lebende Frau mit der Kamera. Die Serie "Spuren" zeigt die etwas verlebte Bea mal aus der Nähe, mal aus der Distanz, mal schnappschusshaft, mal posierend, mal offen und mal verschlossen.

Schließlich hat Jannis Schulze für seine Arbeit "Quisqueya" die Karibikinsel Hispaniola besucht. Er fotografierte und interviewte Bewohner Haitis und der Dominikanischen Republik und ergänzte sein subjektives Reisetagebuch um Landschafts- und Alltagsaufnahmen. Die ungewöhnliche Präsentation aus gerahmten Fotos, Ausdrucken auf Zeitungspapier und Notizzetteln sieht er als Reaktion auf das chaotische Leben dort. "Ich thematisiere die soziale Problematik ohne effekthascherischen Duktus", so Jannis Schulze.

Einsamkeit, Tod, soziale Härte, Migration, Erinnerungsorte. Die Fotografen der jüngeren Generation tummeln sich bevorzugt im realen Leben. Das ist ein Trend, den Josefine Raab seit Längerem beobachtet. "Trends verlaufen in Wellen. Ich glaube, wir befinden uns zur Zeit auf dieser Welle der Wirklichkeitsbewältigung."

Gute Aussichten. Junge deutsche Fotografie 2014/2015.

Ort: Deichtorhallen Hamburg

Zeit: bis 8.3.2015, Di-So 11-18 Uhr, jeden 1. Donnerstag im Monat 11-21 Uhr.

guteaussichten.org

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