„Wie Urlaub für meinen Körper“

Saarbrücken · Stanislaw Skrowaczewski ist ein Phänomen. Mit 91 Jahren ist der gebürtige Pole einer der dienstältesten Dirigenten und Komponisten der Welt. Am Samstag eröffnet der langjährige Erste Gastdirigent der Deutschen Radio Philharmonie mit dem Orchester die Musikfestspiele Saar. SZ-Redakteur Johannes Kloth hat mit dem Maestro am Rande einer Probe gesprochen – über die Herausforderungen des Lebens im Alter, Glücksmomente – und Popmusik.

 Skrowaczewski 2013 bei einer Probe mit der Deutschen Radio Philharmonie. Foto: Karger

Skrowaczewski 2013 bei einer Probe mit der Deutschen Radio Philharmonie. Foto: Karger

Foto: Karger

Herr Skrowaczewski, Sie kommen direkt aus Schweden, von einem Gastdirigat bei den Göteborger Symphonikern, heute proben Sie bereits mit der Radio Philharmonie für den Saarbrücker Auftritt am Samstag. Ist das nicht strapaziös?

Skrowaczewski: Der Alltag, das Laufen, das Reisen ist strapaziös. Nicht das Dirigieren. Das ist wie Urlaub für meinen Köper.

Die Musik gibt Ihnen Kraft?

Skrowaczewski: Ja. Außerdem habe ich eine Technik gefunden, die es mir ermöglicht, mit wenigen Bewegungen zu dirigieren, ohne dass ich mich körperlich anspannen muss.

Empfinden Sie Glücksmomente beim Dirigieren?

Skrowaczewski: Ja, wenn ich merke, dass der Kontakt zum Orchester da ist, dass die Musiker verstehen, was ich will, und es technisch umsetzen können. Und das können sie eigentlich immer, ich arbeite nur mit sehr guten Orchestern.

Ihr Leben steht seit frühester Kindheit im Zeichen der Musik. Hätten Sie sich jemals vorstellen können, einen nicht-musikalischen Berufsweg einzuschlagen?

Skrowaczewski: Eigentlich nicht. Ich war immer sehr interessiert an Naturwissenschaften, an Physik, Mathematik, Biologie. Aber Musik führt mich in einen spirituellen Zustand. Es geht um das wirkliche Ziel des Lebens, das wirkliche Glück. Ich weiß nicht, ob ich durch einen anderen Beruf je so viel Erfüllung gefunden hätte.

Seit fast 70 Jahren arbeiten Sie mit den großen Orchestern der Welt. Welche Rolle spielt Erfahrung beim Dirigieren?

Skrowaczewski: Eine sehr große. Erfahrung bedeutet aber nicht nur, die Partitur genau zu kennen, sondern es geht auch um Kommunikation, darum, wie man schwere Stellen behandelt, die technischen Möglichkeiten eines Orchesters erkennt. Und es geht um Psychologie. Man muss wissen, wie man es schafft, dass die Musiker die Spannung halten bis zum Konzert.

Würden Sie sagen, dass Sie eine Bruckner-Sinfonie heute besser dirigieren als vor 30 Jahren?

Skrowaczewski: Besser oder schlechter, kann ich nicht sagen. Aber natürlich anders, ja.

Sie haben immer viel in Europa gearbeitet, aber auch in den USA, wo Sie seit über 50 Jahren wohnen. Erleben Sie bei Ihrer Arbeit Unterschiede zwischen den beiden Kontinenten?

Skrowaczewski: Nicht mehr. Leider.

Sie bedauern es?

Skrowaczewski: Vor 50 Jahren konnte man zum Beispiel von Deutschland nach Frankreich fahren und dort einen ganz anderen Orchesterklang hören. Instrumente wurden unterschiedlich gebaut, boten verschiedene Einsatz-Möglichkeiten. Es war auch spannend, die unterschiedliche Wahrnehmung von Musik zu erleben - bei Spielern wie beim Publikum. Diese Unterschiede gibt es heute nicht mehr.

Die Musikfestspiele Saar stehen dieses Jahr im Zeichen Polens. Auf dem Programm stehen auch zeitgenössische Komponisten wie Penderecki, Lutoslawski, Górecki und Sie. Gibt es etwas "typisch Polnisches", was diese Komponisten verbindet?

Skrowaczewski: Es gibt folkloristische Elemente, zum Beispiel bei Lutoslawskis Konzert, das wir am Samstag spielen. Aber all diese Komponisten haben auch ganz andere Sachen geschrieben, Lutosawski hat zum Beispiel nach aleatorischen Prinzipien komponiert, Penderecki hat ganz verrückte, atonale Sachen geschrieben. Avantgarde klingt eben immer abstrakt, egal ob sie aus Polen, Italien oder Spanien stammt.

Sie eröffnen das Festival unter anderem mit Chopins Klavierkonzert e-Moll. Am Flügel sitzt Ihre Lieblingspianistin…

Skrowaczewski: Ewa Kupiec ist eine Solistin, die wirklich in der Lage ist, mit den Musikern eines Orchesters zusammenzuarbeiten. Sie kann sehr gut Kammermusik spielen, was meiner Meinung nach die wichtigste Voraussetzung ist, um ein guter Musiker zu sein. Leider gibt es noch immer Solisten, die ganz isoliert spielen.

Kupiec ist 1964 geboren, also in einem ähnlichen Alter wie Ihre Söhne, die auch Musik machen…

Skrowaczewski:… Ja, Popmusik , aber nicht professionell. Sie sind beide talentiert, kennen sich auch in der Musikgeschichte gut aus, vor allem der Jüngere, er spielt ziemlich gut Jazzpiano. Sie hätten Profi-Musiker werden können, aber es ist anders gekommen.

Haben die beiden es denn geschafft, Ihnen die Popmusik nahe zu bringen?

Skrowaczewski: Nein. Zumindest bis jetzt noch nicht (lacht).

Eröffnungskonzert der Musikfestspiele Saar : Samstag, 20 Uhr, Congresshalle Saarbrücken, mit Skrowaczewski und der DRP. Auf dem Programm: Skrowaczewskis Komposition "Passacaglia Immaginaria", Chopins Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll (Solistin: Ewa Kupiec) und Lutosawskis "Konzert für Orchester ". Tickets

unter Tel. (06 81) 97 61 00.

Chopin, vom Klischee befreit

Die Cellistin Sol Gabetta und der Pianist Ingolf Wunder gehören zu den Star-Gästen der diesjährigen Musikfestspiele Saar. Auf ihren hervorragenden aktuellen CDs haben sich beide mit Chopin auseinandergesetzt.

Seine Cellosonate in g-moll gehört zu den wenigen Werken, die Frédéric Chopin (1810-1849) für ein anderes Soloinstrument als das Klavier schrieb. Doch hätte Chopin "sein" Klavier wohl niemals zu einem reinen Begleiter degradiert. So ist denn auch Sol Gabettas Duo-Partner Bertrand Chamayoud auf dem "Chopin Album" (Sony Classical) mindestens so gefordert wie die Cellistin: Artistische Arpeggien, zarte Meldodieläufe greifen stetig ineinander. Gabetta und Chamayoud gelingt es, die beiden Instrumente aufs Schönste miteinander verschmelzen zu lassen, ohne in Effekthascherei abzugleiten - auch bei den anderen Stücken der CD wie dem virtuosen "Grand Duo concertant", das Chopin zusammen mit dem Cellisten Auguste Franchomme schrieb.

Mit Chopins deutlich bekannterem Klavierkonzert Nr. 1 e-Moll hat sich der Pianist Ingolf Wunder auseinandergesetzt: Es gleicht einem Feuerwerk der Virtuosität. Auf dem mit den St. Petersburger Philharmonikern unter Vladimir Ashkenazy eingespieltem Album "Tchaikovsky & Chopin" (Deutsche Grammophon ) geht Wunder mit viel Gespür für die poetische Kraft und die stetigen Stimmungswechsel zu Werke. Zwischen zart und wild pendelt der Österreicher, verbindet Eleganz und Leichtigkeit mit romantischem Pathos. Bereits im ersten Teil des Albums entlockt er dem vermeintlich abgedroschenen 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky neue Facetten. In Saarbrücken ist Sol Gabetta am 10. März mit den Münchner Philharmonikern zu erleben, u.a. mit Dvoraks Cellokonzert h-Moll; Wunder spielt am 22. und 23. März mit dem Saarländischen Staatsorchester u.a. Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 in G-Dur. Karten: www.musikfestspielesaar.de

 In Saarbrücken spielt Ingolf Wunder Beethovens Klavierkonzert Nr. 4. Foto: Walter/DG

In Saarbrücken spielt Ingolf Wunder Beethovens Klavierkonzert Nr. 4. Foto: Walter/DG

Foto: Walter/DG

Zum Thema:

Stanisaw Skrowaczewski ist am 3. Oktober 1923 in Lwow/Polen geboren. Eine Handverletzung im Zweiten Weltkrieg verhindert seine Pianistenkarriere. Er verlegt sich auf das Komponieren und Dirigieren. Bis 1959 leitet er die großen polnischen Orchester . 1960 bis 1979 ist er Musikdirektor des Minneapolis Symphony Orchestra. Seither dirigiert er regelmäßig die großen Orchester in aller Welt. 1984 bis 1991 ist er Chefdirigent des Hallé Orchestra. Am Pult des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken steht er erstmals 1978, seit 1994 ist er Erster Gastdirigent der heutigen DRP. Als Komponist war Skrowaczewski 1997 mit seiner "Passacaglia Immaginaria" für den Pulitzerpreis nominiert. jkl

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